Neujahr auf dem Kahn

Beneide niemanden, denn du weißt nicht, ob der Beneidete im stillen nicht etwas verbirgt, was du bei einem Tausche nicht übernehmen möchtest.

August Strindberg

Wer filmt die Geschehnisse auf dem Matz-elemec-Hof? Matz wird nach einigem Nachdenken ebenfalls unruhig. Ursprünglich wollte er den Hof verkaufen, da er im Anschluss an das Studium keine Verwendung für das Erbe seiner Großeltern hatte, das ihm zugefallen war. Dann ergaben sich aufgrund des Zusammentreffens mehrere Zufälle eine Reihe von lukrativen Aufträgen, die allesamt mit abartigen, belästigenden, technischen Absonderlichkeiten zu tun hatten. Nach der erfolgreichen Bereinigung der Probleme und dem Lob der Auftraggeber, war die Grundidee seiner aktuellen Beschäftigung geboren. Zu einer Unternehmensgründung gehört natürlich auch ein Firmensitz. Ohne das Ausfüllen der dafür vorgesehenen Felder in der Gewerbeanmeldung ist das im konservativ-bürokratischen Deutschland unmöglich. Unternehmen wird hier nach wie vor mit Gebäude gleichgesetzt und als sehr immobil angesehen. Bis zu seinem Gang auf das zuständige Gewerbeamt hatte er sich gar keine Gedanken darüber gemacht. So gab er kurzerhand die Adresse des Hofes an und einen Tag später zog er dort ein. Die Wahl des Firmensitzes stellte sich schnell als Glückstreffer heraus. Der Hof ist, verkehrstechnisch gesehen, unmöglich gelegen. Zwischen Wiesen, Auwäldern und Spreekanälen versteckt, ist kaum mit unerwünschtem Besuch zu rechnen. Zusätzlich liegen die Gebäude weitab von den allgemeinen Strömen der Massenkommunikation und auch von sonstigen, öffentlichen, zugänglichen Räumen. Das Risiko abgehört und ausgespäht zu werden ist relativ gering. Inzwischen, nach einigen Jahren erfolgreicher Tätigkeit als elektronischer Kammerjäger oder Technologiejäger, wie er sich gern nennt, hat sich einiges Material angesammelt. Es gibt viele Gesellschaftskreise, die an den technischen Artefakten ein gesteigertes Interesse haben, die Matz hier lagert. Ob legal oder illegal, ob öffentlich oder privat, alle sind unangenehm und verfolgen keine ehrlichen, netten und ungefährlichen Ziele. So versucht er von Anfang an, die Geheimnisse seiner Tätigkeit vor der Allgemeinheit zu verbergen. Der abgelegene Hof hilft dabei sehr. Jetzt sitzt er gemeinsam mit Attila und Anja vor einem großen Monitor. Attila versucht die Speicherkarte, die ihm wenige Minuten zuvor vor die Füße fiel, mit einem Laptop auszulesen. Sie funktioniert noch und liefert schnell die ersten Bilder und Filme.

"Gar nicht auszudenken, wenn jemand Ankunft oder Abgang des timesurfers gefilmt hat."

"Ach Matz, so schlimm wird das schon nicht sein. Was soll dabei auch zu sehen sein? Ein Lichtblitz und dann wieder Dunkelheit", versucht Anja Matz zu beruhigen.

"Wollen wir hoffen..."

"Da, da - dort! Den Hof kenne ich! Der liegt nur zwei Kilometer von hier."

Attila hat den ersten Hinweis auf ein Gebäude gefunden, das nicht weit von ihnen entfernt ist. Aus der Luft sind die Häuser kaum zu erkennen. Von der Straße aus sieht man ganz andere Details. Durch die veränderte Perspektive wirken die Gebäude, je nach Flughöhe der Drohne, mehr oder weniger gestaucht. Der markante, überdimensionale Schornstein des Gewächshauses ist jedoch deutlich erkennbar. Dieses unverwechselbare Monument architektonischen Übermutes ragt nur auf einem einzigen Anwesen dieser Gegend in die Höhe. Das Gewächshaus wird wegen des imposanten Abgasobelisken von allen Nachbarn seit Jahrzehnten 'Gemüsekrematorium' genannt.

"Kann die Drohne ihre Filme bereits per Funk übertragen haben?", möchte Attila wissen, während er den nächsten Film öffnet.

"Hm, gute Frage! In den Resten der Kamera war kein Funkmodul zu finden und Kabel gehen auch nicht hinaus. Das macht einen Versand per Funk sehr unwahrscheinlich."

Einige Filme später werden mehr und mehr Höfe in der unmittelbaren Umgegend sichtbar. Mehr als einer von ihnen ist in der vergangenen Woche wiederholt ausspioniert worden. Die gefilmten Gebäude und deren Auswahl lassen keinen Rückschluss auf die Interessen des Drohnenpiloten erkennen. Obwohl einige Gebäude häufiger überflogen wurden, ist nichts zu erkennen, das eine erhöhte Aufmerksamkeit rechtfertigen würde.

"Ist doch klar, das sind Einbrecher, die die Häuser auskundschaften", erklärt Anja kurzerhand.

"Meinst du wirklich? Aus der Vogelperspektive sind Türen und Fenster nicht deutlich genug zu erkennen. Man kann nur sehen, ob jemand auf dem Hof ist. Einen Einbruch würde ich anders vorbereiten", versucht Matz die These zu widerlegen.

"Jetzt bin ich aber gespannt, wie viele Brüche du schon gelandet hast!", entgegnet Anja gespielt schnippisch.

"Ja - nee - keinen, natürlich! Ich bin ein ehrlicher Mensch", ist die entrüstete Antwort.

Attila entdeckt Videos vom Matz-elemec-Hof. Die Aufzeichnungen beginnen vor zwei Tagen. Der Hof ist mehrfach zu unterschiedlichen Tageszeiten überflogen worden. Ihm drängt sich eine andere Idee auf. Aus seiner persönlichen Vergangenheit kann er sich zumindest einen weiteren Grund vorstellen. Dieser ist wahrscheinlich gar nicht weit von der Wahrheit entfernt. Schließlich hat er selbst in den vergangenen Wochen immer wieder für einiges Aufsehen gesorgt.

"Vielleicht sind das aufmerksame, interessierte Nachbarn - so eine Art Bürgerwehr?"

Diese Erklärung findet auch Anja einleuchtend. Zumindest passt das zu den Erzählungen über den abgelegenen Hof, von denen mittlerweile mehrere im Dorf zu hören sind.

"Die Ortsansässigen sind wegen der letzten Geschehnisse um den Hof etwas beunruhigt ... es kursieren so einige Gerüchte in der Gegend", ergänzt sie vorsichtig Attilas Erklärungsversuch.

"Welche denn nun schon wieder? Hört das gar nicht mehr auf?", stöhnt Matz auf.

Mit einer theatralischen Geste winkt er resigniert ab und lässt sich in einen Sessel fallen. Im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, mag er gar nicht. Die bringt nur ungefragt Gäste auf den Hof, dessen Zweck und Inhalte doch möglichst unbekannt bleiben sollten. Parallel zur technischen Abwehr von Drohnen und Wanzen muss er nun auch noch eine Gerüchteabwehr installieren. Diese Kommunikationsarbeit wird viel Zeit benötigen und ist so gar nicht das Metier, in dem er sich auskennt. Anjas Aufzählung steigert seinen Verdruss nur noch weiter.

"Na da ist immer noch das Gerücht vom Hexenmeister auf dem Hof, dann eines über einen Sirenen-Alarm wegen UFO-Großangriff und schließlich noch die Vermutung über einen Blitzeinschlag aus einem geheimen, riesigen Tesla-Generator, der am trüben Weihnachtsabend einen Straßenbaum entflammt hat."

Matz legt beide Hände vor das Gesicht und schüttelt den Kopf.

"Da helfen nur eine systematische Kommunikationskampagne und das Reden mit den Leuten im Dorf. Oh Gott, das sind gleich zwei Tätigkeiten, die mir keinen Spaß machen", brummt er hinter seinen Händen.

"Och, das lass 'mal meine Sache sein. Damit kenne ich mich bestens aus", meldet sich ein freudestrahlender Attila.

Endlich eine Tätigkeit, die er voll und ganz beherrscht und bei der er all seine Fähigkeiten ausspielen und beweisen kann. Als ehemaliger Spitzenpolitiker, der fast den Kanzlerthron erobert hätte, kommuniziert er natürlich spielend mit Menschen. Ohne dabei zielgerichtet vorzugehen, wäre er nie bis zu dem Höhepunkt seiner Karriere im September des vergangenen Jahres gekommen. Das glauben die beiden anderen unbesehen, obwohl sie noch gar nichts von dem 'Großen Coup' wissen, den er mit der Politikaktion verfolgte. Attila glaubt nach wie vor, dass es besser ist, nicht die ganze Wahrheit zu erzählen - später vielleicht, wenn etwas mehr Gras über die Geschehnisse und ausgedehnten Felder mit den vielen Problemminen gewachsen ist. Matz hat in diesem Moment die Erkenntnis, dass es ein Glückstreffer ist, gerade jetzt den verstoßenen Politiker mit an Bord zu haben. Er hat zusätzlich eine Idee, wie der heutige Tag für eine erste Aktion genutzt werden kann. Er möchte sofort damit beginnen, die Lage zu entspannen und weitere Gerüchte nicht zulassen. Matz nimmt die Hände vom Gesicht und seine Miene erhellt sich.

"Ich habe da eine Idee, die euch gefallen wird."

Das ist wieder eine Ankündigung, die Attila unwillkürlich aufspringen lässt. Er tigert zwischen Tisch und Tür hin und her und möchte sofort zur Ausführung schreiten. Nur weiß er bisher nicht, was Matz sich vorstellt. Allein die Behauptung, dass es ihm gefallen wird, ist ausreichend, um ihn unruhig werden zu lassen. Auch Anja ist neugierig und versteht nicht, warum Matz ihnen nicht sofort seine Idee präsentiert. Da auch sie nicht länger warten möchte, drängt sie ihn zu einer Offenbarung.

"Spann uns nicht auf die Folter - immer 'raus damit. Der Tag und auch das Jahr sind gleich vorbei."

"Na dann!", Matz springt ebenfalls auf und erklärt: "Lasst uns die Gelegenheit nutzen und an die Leute entlang des Kanals Glühwein ausschenken. Wir bereiten einige Liter davon vor, füllen das Zeug in einen großen Thermobehälter, stellen ihn in den Kahn und fahren damit den Kanal in Richtung Dorf hinunter. Jeder, der möchte, bekommt Glühwein von uns. Wir zeigen uns und verhindern weitere Gerüchte."

"Und wir bekommen das gesamte Feuerwerk der Gegend zu sehen", freut sich Anja. Bei dem Gedanken an Feuer funkeln ihre Augen.

****

Matz besitzt einen der klassischen Spreewaldkähne aus Holz. Der ruht schon winterfest und trocken auf dem Ufer auf Böcken. Vor den Fenstern des Haupthauses, auf dem schmalen Streifen Land, der das Gebäude vom Spreekanal trennt, liegt der umgestürzte Kahn. Er ist mit einer grünen Plastikplane abgedeckt. Im November hatten Matz und Attila ihn aus dem Wasser gezogen, gesäubert und dort abgestellt. Während Anja den Vorrat an Glühwein bewundert, den Matz in der Speisekammer lagert, befreit dieser gemeinsam mit Attila den Kahn von seiner Abdeckung und lässt ihn zurück in das kalte Wasser der Spree gleiten. Sie benötigen dabei keine Laternen, da der Tag zügig seinem Ende und Höhepunkt zustrebt und Silvesterraketen die Gegend ununterbrochen mit zuckendem, vielfarbigem Licht erleuchten. Wenige Minuten später heben sie den Thermobehälter und auch Anja in den Kahn. Sie stellt sich an das Ende des Gefährts und sucht die lange Stange zum Staken.

"Sage einmal Matz, wo ist denn das Rudel. Ohne kann ich den Kahn nicht bewegen!"

Matz sieht sie erstaunt an. Anfangs versteht er nicht, was Anja meint.

"Ein Rudel - was? Schlittenhunde? Was möchtest du denn damit?"

"Na, den Kahn bewegen! Ich meine die Stange - dazu nutzt man doch die lange Stange. Du etwa nicht?"

Matz hat ganz vergessen, dass die Kähne im Spreewald üblicherweise mit Hilfe einer langen Stocherstange, Rudel genannt, bewegt werden. Wie kann ihm das als einem Eingeborenen geschehen? Über viele Jahre war er mit Kähnen so und nicht anders unterwegs.

"Ach so! Jetzt verstehe ich dich. DAS Dings. Ja, die Stange, die ist vor zwei Jahren zerbrochen."

"Hast du den Kahn dann zwei Jahre nicht genutzt?"

"Natürlich habe ich ihn genutzt - warum sollte ich nicht?"

"Ohne ihn zu staken?"

Anja setzt sich auf das Heck des Bootes und sieht jetzt ihrerseits Matz erstaunt an. Der sitzt am anderen Ende des Fahrzeuges, auf dessen breitem, flachem Bug und lächelt sie wissend an. Unterdessen löst Attila das letzte Halteseil. Bevor er es in den Kahn werfen und ebenfalls in diesen springen kann, hält Matz ihn davon ab.

"Halt! Warte Attila! Wir haben noch das Rudel vergessen."

"Also doch!", trumpft Anja auf.

Wusste sie es doch, Matz möchte sie nur etwas necken. Natürlich kann ein Kahn nicht ohne die lange Stange bewegt werden. Jetzt ist Attila an der Reihe, verwirrt zu blicken. Er ist dem Gespräch der beiden nur in Teilen gefolgt. Außerdem kann er mit einem vergessenen 'Rudel' nichts verbinden, das sich in seiner Nähe befindet.

"Ich verstehe euch nicht. Was haben wir vergessen?"

"Neben dem einen Bock, unter der Abdeckung liegen zwei dicke, kurze Metallrohre mit dünnen Stahlkabeln. Die sind das Rudel, das wir vergessen haben."

Attila befördert die beiden Rohre zum Kahn. Er muss sich etwas mühen, da sie mehr Gewicht haben, als er vermutet. Sie bestehen aus Aluminium und sind an beiden Enden offen. Einige Zentimeter im Inneren sind Gitter im schwachen Licht des Feuerwerks zu erkennen. Was hinter diesen eingeschlossen ist, lässt sich nicht herausfinden. Auf jeden Fall ist es nicht leicht. Er reicht die beiden Metallteile nacheinander zu Matz in den Kahn.

"Die sind aber schwer. Wozu benötigen wir den Schrott überhaupt? Als Ballast für mehr Tiefgang?"

Matz hakt die Karabinerhaken, die sich an den Enden der Stahlseile befinden, in metallene Ringe an der rechten und linken Bordwand des Kahns ein. Dann wirft er die schweren Aluminiumrohre zum großen Erstaunen von Anja und Attila ins Wasser. Klatschend treffen sie auf die dunkle, glatte Oberfläche und versinken sofort in der Spree. Einige wenige Spritzer des kalten Wassers landen im Kahn.

"Iii - pfui!", Anja springt zurück und setzt sich wieder auf das Heck: "Mit diesen Ankern kommen wir nicht vom Fleck. Der Glühwein wird bestimmt schon langsam kalt."

"Das ist das 'Rudel' ... und schon fahren wir ab."

Matz nimmt sein Smartphone aus der Innentasche seines Mantels, startet eine App, tippt etwas in dieser herum und steckt das Telefon wieder ein. Der Kahn setzt sich langsam in Bewegung und gleitet lautlos vom Ufer hinweg, auf die Mitte des Spreekanals zu. Attila und Anja sitzen auf den Bänken im hinteren Teil des Gefährts. Sie sehen abwechselnd auf das Wasser und dann wieder auf das Ufer des Spreewaldhofes, das hinter ihnen langsam in der Dunkelheit der Silvesternacht verschwindet. Die Umrisse des Haupthauses sind in dem fahlen, schwachen Licht nur noch als Schemen zu erkennen und verblassen anschließend vollständig. Die blattlosen Erlen an beiden Ufern gleiten gespenstisch an ihnen vorbei, während der Kahn langsam die dünnen Nebelschleier auseinander schiebt, die über der schwarzen, stillen Wasseroberfläche liegen. Sie sind auf dem Weg in das Dorf: langsam, lautlos, angetrieben von Matz's Smartphone. Anja findet zuerst die Sprache wieder.

"Geister sind das nicht und dein Telefon bewegt uns auch nicht - vermute ich einmal", flüstert sie von der Heckbank in Matz's Richtung.

"Nein, Gott bewahre, mit Geistern habe ich nichts am Hut. Das ist das Rudel von Aufklärungstorpedos für Binnengewässer, die ich am Kahn befestigt habe. Du hattest doch nach dem Rudel gefragt, oder?", erklärt dieser lachend.

"Auf-klärungs-torpedo?", jetzt findet auch Attila in die Gegenwart zurück.

"Ja, die sind immer im Rudel unterwegs. Habe ich vor etwa drei Jahren eingefangen. Sie hatten sich in den Netzen eines Fischers verfangen. Der arme Mann konnte sie nicht daraus entfernen, da sie gleich Zitteraalen Stromschläge verteilten. Anschließend habe ich sie gezähmt und einer nützlichen Verwendung zugeführt - wie ihr seht."

"So etwas schwimmt in unseren Kanälen?", fragt Anja erbost und immer noch etwas ungläubig.

"Ja, und nicht zu knapp. Du glaubst nicht, was alles dort im Verborgenen zu finden ist."

"Aber warum? Da gibt es doch nichts zu sehen..."

"Manchmal liegen Telefonkabel im Wasser, die kann man abhören. Gewässer können exakt kartografiert werden - zur Bestimmung der Durchfahrtstiefen und es schwimmen noch viele andere technische Absonderlichkeiten dort in der Tiefe. Die tasten sich natürlich gegenseitig ab - ist Revierverhalten, wie bei vielen Tieren. Wer diese netten Geräte ausgesandt hat, konnte ich leider nicht feststellen. Die können nicht über Funk kommunizieren, da sie immer tief im Wasser sind. Wahrscheinlich werden sie von Booten ausgesetzt und von diesen auch wieder eingesammelt."

"Und wie steuerst du die Dinger, wenn die nicht funken?", fragt Attila besorgt.

Er befürchtet, dass die Kahnfahrt nicht gut ausgehen wird. Matz hat das Telefon achtlos wieder in den Mantel gesteckt und die seltsamen Torpedos fahren ungelenkt geradeaus. Irgendwann werden sie sich in ein Ufer bohren und der Kahn wird umstürzen. Im kalten Wasser der Spree hat er schon einmal gelegen. Das war gar nicht spaßig.

"Keine Sorge, die Torpedos steuern sich selbst. Sie fahren nirgendwo dagegen - nur in Netze - und hier haben wir keine. Ich gebe nur die Richtung vor und halte sie an."

"Und wie?"

"Über Bluetooth, vom Smartphone aus. An den Stahlseilen, die aus dem Wasser ragen, sind die Antennen der Torpedos."

Anja beschäftigen nicht die technischen Details ihrer geheimnisvollen Bewegung. Sie denkt viel mehr an den Eindruck, den sie als Geisterfahrer im Dorf hinterlassen werden. Noch sind sie einige Meter von der Ortschaft entfernt.

"Du Matz, mit einem Geisterschiff kommen wir bestimmt nicht zu weniger Gerüchten."

"Da hast du wohl recht."

Er überlegt. Manchmal ist der erste Gedanke der beste. Ihm fällt sofort die Lösung 'Tarnung' ein. Natürlich kann nicht der Kahn getarnt werden - sie möchten ja gesehen werden und Glühwein ausschenken. Er kann jedoch den Antrieb tarnen.

"In dem Kahn, der dort vorn noch im Wasser liegt, ist bestimmt auch eine lange Stange zu finden."

Matz holt das Smartphone wieder hervor und steuert auf den Kahn zu, der am rechten Ufer vertäut ist. Wirklich - es liegt eine lange Stocherstange mitten in dem Boot.

"Sehr gut! Die borgen wir uns aus und du tust so, als ob du damit unser Fahrzeug bewegst. Auf dem Rückweg legen wir die Stange wieder an ihren Platz zurück. Gut getarnt ist halb gewonnen!"

Damit holt er das Rudel aus dem fremden Kahn und überreicht es Anja mit einer feierlich wirkenden Geste.

****

Im Dorf hat das Feuerwerk seinen Höhepunkt erreicht. Der Himmel wird von Raketen durchlöchert und der Ort von bengalischen Feuern in helles, zuckendes, rotes Licht getaucht. Eine Mischung aus Nebel und Rauch zieht durch die Straßen und über die Kanäle. Überall riecht es nach verbranntem Schießpulver. In keinem Fall hält sich in himmlischen Höhen noch ein einziger Engel oder anderes, mystisches Wesen auf. Alle Himmelsbewohner jeglicher Mythologien sind herunter geschossen worden und verbergen sich eingeschüchtert hinter den letzten, verbliebenen, dunklen Hausecken. Das neue Jahr hat begonnen und dem alten ist mit viel Lärm, Feuer und Licht der Garaus gemacht worden. Obwohl es nicht besonders kalt ist, wird das Glühweinangebot dankend angenommen und bereits nach wenigen Minuten ist der Thermobehälter nahezu leer.

Nur zwei ältere Frauen lehnen die Einladung zum Glühwein sehr deutlich ab. Ihre kurze Antwort ist ausschließlich: "Pfui - Hexengebräu!" Matz wird klar, dass Attila einige Arbeit haben wird, die Bewohner der Umgebung von ihrer Unbedenklichkeit zu überzeugen und die Gerüchte zu zerstreuen. Auf jeden Fall muss er vor ihnen die Wahrheit verbergen, schon um sie vor Politikern, geheimen Diensten, machtsüchtigen Behörden, fiesen Warlords und anderen organisierten Verbrechern zu schützen.