Attila nervt
Der frühe Vogel lärmt in der Morgenstund.
Hipsterweisheit
Am Morgen ist es soweit. Attila schiebt ein Blech nach dem anderen in den Ofen. 15 Minuten Backzeit ist auch für ungeduldige Bäcker auszuhalten.
Während der Wartezeit klebt er die Teile zusammen, die bereits gebacken sind.
Der Zuckerklebstoff, den er aus Puderzucker und etwas Wasser verfertigt hat, trocknet schnell - die Plätzchen saugen das Wasser auf - und die Drohnenkuchen nehmen Gestalt an.
Die Hauskatze ist mit dem Ergebnis gar nicht zufrieden. Neue Drohnen hat sie nun wirklich nicht erwartet.
Ängstlich versteckt sie sich unter dem Küchentisch. Die Erlebnisse der Luftschlacht des gestrigen Nachmittags wirken noch nach. Insbesondere die Beseitigung des Küchenchaos war schrecklich laut und hektisch - nichts was eine Katze mag. Außerdem bekommt sie nichts zum Fressen ab.
Attila ist so in diese konstruktive Tätigkeit vertieft, dass er gar nicht bemerkt, wie Matz die Küche betritt.
Der kommt nur bis zur Tür. Abrupt bleibt er in dieser stehen, unterbricht den Schritt in den Raum und sein rechter Fuß verharrt für einige Sekunden bewegungslos in der Luft. Eine braune Umhängetasche fällt auf den Boden. Sie beherbergt offensichtlich Metallteile, die bei dem Aufprall lustig gegen- und miteinander klappern. Matz Augen weiten sich und sein Mund steht offen. Er versucht das 'Schlachtfeld Küche' mit einem Blick zu erfassen, in der Hoffnung, das Desaster wird damit kleiner, erträglicher.
"Ahhrg! Herr Schlottermüller!", entringt es sich seinem Mund, gleich eines Schmerzensschreies.
"Hallo Matz - awesome, diese Drohnenkuchen, nicht! Mein Gedanke, mein Gedanke, ..."
Attila freut sich sichtlich über die Rückkehr seines Gastgebers.
"Mensch Attila, ich meine die Küche. Das sieht ja hier aus wie nach einem Hunnen-Feldzug! Gewaltiger kann die Verwüstung gar nicht sein!", empört sich Matz.
"Och, du hast meine letzte Unterkunft nach der Explosion nicht gesehen..."
"... das möchte ich mir hier auch gar nicht vorstellen!"
Matz lässt sich auf den einzigen Stuhl fallen, der nicht mit Backblechen und halbfertigen Drohnenkuchen belegt ist. Ungeachtet des verstreuten Mehls, stützt er die Ellbogen auf den Tisch, legt den Kopf in die Hände und beobachtet intensiv Attilas Tun. Er weiß, dass es ein gewagtes Unterfangen war, Attila für einige Tage allein zu lassen. Dessen Nervenkostüm ist noch nicht wieder so gefestigt, dass er die Einsamkeit ohne Unfug aushält - geschweige denn genießen kann.
"Ist das deine Form der Verarbeitung der Tage der technologischen Verfolgung?"
Attila unterbricht seine Arbeit und sieht jetzt seinerseits Matz aufmerksam und interessiert an.
"Ja weißt du, darüber habe ich bisher gar nicht nachgedacht."
"Solltest du aber - zu irgend etwas muss das ja gut sein."
"Wahrscheinlich. Auf jeden Fall macht es Spaß."
"Schön, dass du jetzt Spaß hast. Wirst du den beim Aufräumen auch noch haben?", bringt Matz ängstlich hervor. Er hat Vorahnungen, die bereits Augenblicke später bestätigt werden.
"Oh ja, das werde ich - hatte ich gestern auch."
"Dir macht das Aufräumen und Säubern wirklich Spaß?"
"Ja, mit den richtigen Geräten schon..." Attila ist die Vorfreude auf die Reinigungsaktion anzusehen. "... der Kärcher versprüht lustige Seifenblasen und der große Sauger entfernt dann jeden Dreck."
Matz 'elemec' versucht in Attilas Gesicht zu ergründen, ob er das wirklich so meint, wie er es gesagt hat. Das drückt deutlich Vergnügen aus, keinen Scherz.
"Du hast doch nicht wirklich mit dem Kärcher die Küche gereinigt?", in der Stimme des Fragenden schwingt starke Verunsicherung mit. Er kann es immer noch nicht glauben.
"Natürlich! Hätte sonst doch ewig gedauert.", ist die überzeugend ehrliche Antwort.
Matz springt wortlos auf, ist mit zwei Schritten an der Abstellkammer und öffnet ruckartig deren Tür. Zu seinem Glück weiß er nicht, was Attila vor der Reinigungsaktion angestellt hat. Mit Eimer, Putzlappen und einem großen Küchenhandtuch kommt er zum Tisch zurück.
"So. Damit säuberst du jetzt diesen Raum. Anschließend vergisst du bitte nicht die Reinigungsgroßgeräte zu putzen. Du musst lernen, dass das Leben nicht die Politik ist - hier kann man nicht mit Meta-Phrasen 'fertig machen'."
Jetzt weiten sich Attilas Augen.
"Und wo bleibt da der Spaß? Das dauert ja ewig!"
"Gut so. In der Zeit bist du beschäftigt und kannst keinen neuen Unfug anstellen."
"Hummpf...", schnaubt Attila und sieht demonstrativ aus dem Fenster in den morgendlichen Nebel.
Matz weiß nun, dass er Attila beschäftigen muss. Dieser benötigt eine sinnvolle Aufgabe, um sich abzulenken und den Inhalt des wahren Lebens, abseits von jeglicher Politik, wieder zu verstehen. Einige Minuten später hat er, wie er glaubt, die passende Idee. Für die Weihnachtstage benötigen sie noch einen Baum. Es muss keine Nordmanntanne sein. Eine märkische Kiefer erfüllt den Zweck auch. Wenn Attila den Baum selbst schlagen soll, dann ist er einige Tage mit der Suche nach einer legalen Möglichkeit und der Forstarbeit selbst beschäftigt. Außerdem ist das eine sinnvolle Betätigung. Natürlich ist das Schlagen von Weihnachtsbäumen im Spreewald nicht möglich. Der Baum muss außerhalb des Biosphärenreservats 'geerntet' werden. Das ist zusätzlich gut: die Suche dauert länger und Attila hat mehr Arbeit.