Der Morgen danach
Brennt das Feuer noch so hell,
Spruch aus dem Feuerwehrkalender 2013
sein Ende kommt schnell.
Nichts ist deprimierender als ein trüber Morgen nach einem berauschenden Fest. Vor den Auswirkungen eines Nachfeiertraumas kann man sich nur durch einen Kater schützen. Kopfschmerz und Übelkeit infolge übermäßigen Alkoholkonsums verdrängen wirkungsvoll und nachhaltig jegliche Erinnerung an den vorhergehenden Abend. Dumm ist nur, wenn man an diesem gar keine alkoholischen Getränke genossen hat. So bleibt die physische Ernüchterung aus und wird durch eine noch viel quälendere, psychische ersetzt. Abend und Nacht zuvor wurden im Taumel des Feierwahns und mit dem fortwährenden Kitzel der Ausschweifung durchlebt. Der Reiz der vielen, ununterbrochen andauernden Höhepunkte führte zu einer emotionalen Sättigung und endlich einer Empfindungstaubheit. Dem Morgen danach bleibt also gar nichts weiter übrig, als die vollkommene Enttäuschung eines unendlichen, dumpfen Tiefpunktes zu verkörpern. Offensichtlich scheint ein Morgen das zu spüren und strengt sich somit nicht einmal ansatzweise an, auch nur ein wenig positive Stimmung zu verbreiten. Genau so verhält sich gerade Attilas Morgen. Mit einer trüben und rauchigen Begrüßung hat er ihn wieder in das Bett gesandt. Nun liegt er schon eine weitere Stunde dort und starrt gedankenlos die Decke an.
Attilas Fest war anfangs revolutionär, anschließend wurde es spektakulär, ging schnell in eine chaotische Kontrolllosigkeit über und endete in der vollständigen Zerstörung einer ganzen Reihe von Einrichtungsgegenständen, technischen Artefakten und eines unschuldigen Baumes. All das sind Resultate, die sich dieses Mal nicht mithilfe eines Hochdruckreinigers reparieren lassen. Noch vor wenigen Monaten hätte Attila das durch sein Parteipersonal hinwegagitieren lassen. Am Ende ist die Bewertung einer Situation immer abhängig von der Lage, in der man sich selbst befindet. Von dort aus erfolgt die Betrachtung, das ist der eigene Ausgangspunkt, Nullpunkt. Es gibt nichts, was sich nicht verschieben und an den optimalen Ort verbringen lässt. Das gilt ganz natürlich auch für die Basis, von der aus Menschen Situationen bewerten. Die modernen Mittel und Methoden der Meinungsbeeinflussung sind wahrlich beachtlich und ihre Wirkung ist phänomenal, wenn man damit umgehen kann. Genau das ist - nein war - die Fähigkeit, die Attila seit seiner Schulzeit ausgeprägt, immer weiter verfeinert und zu einer Kunst entwickelt hat. Er beherrscht die gesamte Klaviatur der Demagogiemaschinerie.
Der Hunger treibt ihn schließlich aus dem Zimmer in Richtung Küche. Unterwegs stoppt er beim Wohnzimmer, öffnet vorsichtig die Tür - nur einen kleinen Spalt breit - und sieht hinein. Es bietet sich ihm ein sättigender Anblick: Er hat mit einem Mal keinen Hunger mehr und möchte die Küche gar nicht mehr aufsuchen. Deprimiert registriert Attila die von Rauch geschwärzten Wände, verbrannten Gardinen, pulverisierten Reste des Festbaumes, in die sich verkohlte Kabel und geschmolzene Plastikteile mischen. Trübes Licht beleuchtet die traurige Szene nur schwach durch die Fenster. Der Brandgeruch in dem Raum ist immer noch unerträglich. Attila schließt die Tür so schnell er kann und flüchtet weiter auf dem zuvor eingeschlagenen Weg. Das ist die Richtung zur Küche. Wirklich schnell bewegt er sich jedoch nicht. Ihn plagen seit dem frühen Morgen bereits Gewissensbisse wegen der allgemeinen und besonderen Zerstörungen. Die Unwägbarkeit von Matz's Reaktion lässt ihn immer wieder zögern. Leise nähert er sich der Tür und steht etwas mehr als dreißig Sekunden vor dieser. Er kann sich nicht entschließen, den Drücker zu betätigen. Was wird sein Gastgeber zu dem zerstörten Inventar und der verwüsteten Wohnung sagen? Wie wird er reagieren? Attila rechnet ernsthaft damit, auf die Straße gesetzt zu werden. Verdenken könnte er das Matz nicht. Endlich greift er zum Türgriff und drückt ihn mit einem Ruck nach unten. Lieber ein Ende mit Schrecken als endlose, quälende Ungewissheit erdulden zu müssen.