Zeit des Lichts
Wenn du glaubst es geht nicht mehr,
Sprichunwort
kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
Attila hält Wort: Er renoviert auf die herkömmliche Art und Weise. Alle Arbeiten führt er von Hand und ohne maschinelle Hilfe aus. Der Hochdruckreiniger kommt nicht zum Einsatz und sogar von den Drohnen hält er sich fern. Zusammen mit Matz hat er am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag keine Langeweile. Asche, verbrannte Reste des Weihnachtsbaumes und Brandflecke sind vollständig entfernt, die Wände und die Decke haben einen frischen Anstrich bekommen und vor dem Fenster hängt sogar eine neue Gardine. Das Wohnzimmer des Spreewaldhofes sieht besser aus als je zuvor. Die Sonne ist längst untergegangen, der Abend ist angebrochen und Attila hat eine Idee - mit Feuer natürlich. Matz kann nicht protestieren, denn er kocht bereits seit einiger Zeit. Natürlich möchte er sich mit dem Abendessen nicht vor Anja blamieren. So räumt Attila allein die letzten Malerutensilien an ihren Platz zurück und beschäftigt sich mit der Endreinigung. Attila ist mit einem Eimer voll Wandfarbe zwischen den Gebäuden unterwegs. Er trägt ihn zurück zum Lagerraum in den ehemaligen Stallungen. Die Luft ist kühl und feucht vom Nebel. Ihm fällt auf, dass es heute Abend besonders dunkel ist. Die Wolken sorgen dafür, dass das wenige Licht des Nachthimmels kaum bis zu dem alten Hof im Spreewald dringt. Der leichte Nebel saugt die letzten, verbliebenen Photonen auch noch auf. Da Attila in der einen Hand den Farbeimer und der anderen einige Pinsel und eine große Bürste trägt, passiert er den Schalter der Außenbeleuchtung, ohne ihn zu betätigen. So wird der Platz zwischen den Gebäuden auch nicht durch Kunstlicht erhellt. Es kommt, wie es kommen muss: In vollkommener Dunkelheit läuft Attila gegen die Leiter, die er vor wenigen Minuten vor dem Lagerraum abgestellt hat. Dieser ist noch verschlossen und er hat mehrere Male vergessen, den Schlüssel mitzunehmen. An der Wand, direkt neben der Tür, lehnt die große Standleiter. Vor der Tür selbst stehen einige Besen, Bürsten mit langen Stielen und Bohlen. Um sie herum sind verschiedene Farbbüchsen, Eimer und Malerböcke platziert. Hier ist alles versammelt, was noch vor wenigen Stunden für die Renovierungsarbeiten benötigt wurde. Attila verfängt sich mit dem linken Fuß in der Leiter, reißt sie um und stolpert vorwärts. Der große Farbeimer ist zu seinem Glück fest verschlossen, denn dieser fällt ihm aus der Hand, rutscht wie eine Bowlingkugel auf die Tür zu und fegt die dort stehenden Besen, Bürsten und Hölzer zur Seite. Bei Licht hätte Attila den Strike bewundern können. Im perfekten Dunkel des Abends sieht er gar nichts davon, er hört es nur. Das Poltern und Klappern der Gegenstände will gar kein Ende nehmen. Die metallene Leiter rollt rasselnd über die auf dem Boden liegenden Utensilien und wird in ihrer Bewegung abrupt und hart von der verschlossenen Tür gestoppt. Deren Blatt ist viel dünner als die Eingangstür des Hauses, denn es ist aus verzinktem Blech gefertigt - es kann in Schwingungen versetzt werden: Ein lautes, lang gezogenes 'Bonnng' ertönt und rollt schließlich zwischen den Wänden der Häuser hin und her. Hinter all diesen Gegenständen und Lauten rollt auch Attila über die Katzenköpfe des Weges vor der Tür zum Lagerraum. Auf den harten, granitenen Steinen des uralten Pflasters wandelt er geschickt die gesamte kinetische Energie des Sturzes in eine turnerischen Übung um. Auch das kann wegen der Dunkelheit niemand sehen.
"Ufff - gekonnt ist gekonnt", spricht er beim Aufstehen zu sich.
Instinktiv klopft Attila mögliche Verschmutzungen aus seiner Kleidung. Erst nach einigen Augenblicken und vielen Klopfern wird ihm bewusst, dass er wegen der biblischen Dunkelheit den Fortschritt und Erfolg dieser Tätigkeit gar nicht feststellen kann. Sein nächster Gedanke belehrt ihn darüber, dass er immer noch die Malerbekleidung trägt: Die Hose und Jacke aus weißem Tuch sind alt, schmutzig und überall mit Farbflecken bedeckt. Als Matz ihm die Bekleidungsstücke überreichte, fühlte sich Attila sofort an den Drohnenfänger und dessen fleckige Lackierung erinnert. 'Natürlich habe ich das beim Ausbessern der Karosserie getragen', war die Erklärung von Matz.
Ein Leben ohne Licht ist eine Herausforderung, der sich Attila heute nicht mehr gewachsen fühlt. Er tastet sich zum Wohnhaus zurück, schaltet die Außenbeleuchtung ein und kehrt mit dem Schlüssel zur Tür des Lagerraumes zurück. Da die vielen Gegenstände zwar um- und ineinander gefallen sind, jedoch nicht weit voneinander entfernt liegen, kann er sie schnell an ihren Platz bringen. In den Regalen fällt ihm ein Korb mit Teelichten auf. Sein Hirn hat Freizeit, da er die Renovierungsarbeiten abgeschlossen hat. So bringen ihn die kleinen Kerzen augenblicklich auf eine neue Idee: Er wird die Auffahrt vom Torbogen an der Straße bis zur eichenen Eingangstür des Hauses mit diesen Teelichten beleuchten und der Nacht die Dunkelheit austreiben. Er fühlt in sich die Wärme einer heiligen Verpflichtung aufsteigen, gleich der, die Exorzisten vermeinen zu spüren. Er, Attila wird die Welt vor dem Fall in das Dunkel der Nacht retten. Der Unterschied zwischen Teufeln, Geistern und der Beleuchtungslosigkeit stört ihn nicht sonderlich. Er ist plötzlich bis in die Haarspitzen angefüllt mit dem Feuer eines Sendungsbewusstseins. Es redet ihm ein, dass er die Dunkelheit austreiben muss - er ganz allein steht an der Front zum lichtlosen Abgrund der Nacht. Das passt zum Feiertag, glaubt Attila und macht sich sofort an die Umsetzung seiner Eingebung.
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In der Küche brodelt es zischend in mehreren Töpfen. Abwechselnd heben sich die Deckel auf ihnen und spielen ein nicht endendes Klapperkonzert. Duftender Dampf steigt auf und wird von den Ventilatoren des Abluftsystems durcheinander gewirbelt, bevor es ihn beschleunigt in die Abendluft entführt. Auf dem Herd sind alle Kochstellen mit großen Töpfen belegt, der Backofen und die Mikrowelle arbeiten geräuschvoll und tonal unterstützt von zwei Rührmaschinen, die bereits seit einigen Minuten intensiv brummen. Alles zusammengenommen: es herrscht normaler Küchenbetrieb. Die Küche und Matz haben das in diesem Jahr, von dem nur noch ein spärlicher Rest an Tagen übrig ist, selten erlebt. Es gab so viele Außeneinsätze, dass er an den meisten Abenden erst spät wieder auf den Hof kam. Matz freut sich, heute etwas ohne Rechner, Technologie, Wanzen, Netzwerke und Drohnen ausführen zu können. Die manuelle Arbeit ist pure, entspannende Erholung für ihn. Trotz der langen Pause geht ihm das Kochen zügig von der Hand. Wer seit Jahren allein lebt und sich nicht nur von Fast Food ernähren möchte, ist nun einmal gezwungen, selbst tätig zu werden. Leichte Sorgen bereitet ihm nur noch die Wahl der musikalischen Untermalung für den Abend. Er erinnert sich nicht mehr an Anjas Musikgeschmack. Ihre gemeinsame Schulzeit liegt bereits viel zu lang zurück. Haben sie sich beide jemals über Musik unterhalten? Er weiß es wirklich nicht mehr. Wahrscheinlich hat sich während der vergangenen Jahre ihr Musikgeschmack so und so gewandelt. Er wird also eine breite Auswahl über alle Richtungen im Medienplayer zusammenstellen und vorsichtshalber bereithalten. Manchmal kann Technik doch hilfreich sein. Während Matz in Gedanken die Liste mit Musikstücken zusammenstellt und gerade darüber sinniert, ob er von Tschaikowski das Konzert für Violine und Orchester oder das Klavierkonzert Nummer eins in diese aufnehmen soll, springt die Küchentür auf. Die Mechanik des Schlosses stöhnt mit einem dumpfen Knacken unter der Wucht, mit der der Türdrücker betätigt wird und das Blatt fährt mit einem deutlich hörbaren Zischen durch die mit Dampf erfüllte Luft der Küche. Noch ein wenig schneller und ein Überschallknall würde durch die Küche rollen. Trotz dieser schnellen Bewegung stößt Attila, der hinter der Tür in den Raum springt, krachend mit dem Kopf gegen die Tür. Das ersetzt den Knall von Luftmassen voll und ganz, die das Vakuum überwinden.
"Aa --- hhhh --- ha --- das --- Beule", bringt er atemlos hervor, nach jedem Wort mehr Luft einatmend und fügt gequält hinzu: "Du --- Matz --- hast --- du --- Papier --- tüten?"
"Hallo Attila, wer oder was ist dir denn erschienen? Und vergiss nicht das Ausatmen. Du möchtest doch nicht platzen, oder?"
"Hab viel zu tun --- Papiertüten?"
"Ja doch. Dort in der Schublade ist ein Bündel davon", antwortet Matz, ohne sich von seinen Töpfen abzuwenden.
"Die sind für meine Reiseverpflegung, wenn ich zu einem Einsatz fahre...", erklärt er zusätzlich, um die Tüten eventuell vor Attila zu retten.
Natürlich weiß er, dass das ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Wenn sich ein Gedanke in Attilas Kopf festgesetzt hat, dann ist dieser nicht mehr zu stoppen. Folgerichtig ignoriert dieser komplett Matz Einwurf, hat Attila doch wenig Zeit und ein Ziel, dass seine gesamte Aufmerksamkeit und den Einsatz aller verfügbarer Mittel erfordert. Er benötigt die Tüten für seine Gartenbeleuchtung. Mit einem Sprung ist er am Schrank, reißt den Schub auf, greift nach den Papiertüten und wirft die Lade mit einem kräftigen Schwung wieder zu. Gefühlt zeitgleich zu dem neuerlichen Knall sieht Matz ihn nur noch den Raum verlassen. Zum Glück lässt er die Tür offen und quält diese nicht auch noch mit einer weiteren, übergroßen Kraftanstrengung. Matz kann nur noch den Kopf schütteln, die Tür vorsichtig schließen und sich wieder seinen Töpfen zuwenden. Über den Grund für Attilas hastige Aktionen und das Ziel, welches dieser damit verfolgt, möchte er jetzt nicht weiter nachdenken.
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Direkt unter dem Regal mit den Teelichten steht eine Tonne ohne Deckel. Sie ist bis zum Rand mit Streusand gefüllt. Die milden Temperaturen zum Ende des Jahres garantieren eine geringe Vereisungsgefahr und der Sand wurde bisher nicht genutzt. Attila findet trotzdem eine Verwendung für ihn. Für die Austreibung der Dunkelheit ist damit alles vorhanden, was er benötigt. Zügig füllt er jeweils eine Handvoll des Streuguts in die Papiertüten, die Matz anschließend bestimmt nicht mehr für seine Frühstücksbrote nutzt, wenn er den Geschmack des Salzes nicht mag, das unter den Sand gemischt ist. Die Tüten können dank der Hilfe des Sandes aufgestellt werden, der wenig mehr als ihren Boden bedeckt. Sogar ein kräftiger Wind kann sie nicht hinwegwehen. Die papierne Umhüllung schützt die kleinen Teekerzen, die Attila anschließend in die Tüten stellt. Auch ihnen können Luftbewegungen nun nicht mehr schaden. Innerhalb weniger Minuten fertigt Attila über einhundert einfache und perfekte Windlichte.
Die Verteilung der gefüllten Papiertüten und die Entzündung der Teelichte bereitet ihm weitaus mehr Arbeit. Immer wieder läuft er zwischen dem Lagerraum und der Auffahrt hin und her. Zwei Hände können nun einmal nur eine viel zu geringe Anzahl an formwandelnden Tüten halten. Trotz der geringen Temperaturen wird es Attila sehr warm und Schweiß beginnt ihm von der Stirn aus über das Gesicht zu laufen. Der Erfolg der Aktion bestätigt ihn jedoch, gibt ihm Recht und verhindert einen vorzeitigen Abbruch wegen eines gefühlt viel zu hohen Aufwandes. Vom Torbogen am Eingang des Hofes, bis zur schweren, eichenen Tür des Haupthauses stehen schwach leuchtende Tüten. Sie sorgen für etwas Licht und viel Atmosphäre. Die gesamte Auffahrt ist beleuchtet wie die Rollbahn eines Flughafens. Attila sitzt auf dem Tritt der Eingangstür, betrachtet verzückt sein Werk und kühlt sich ab. Schwach sichtbare Dampfwolken steigen von ihm auf. In der feuchten und kühlen Abendluft kondensiert der verdunstende Schweiß sofort und bildet gemeinsam mit seinem warmen Atem noch deutlichere Wolken, direkt vor seinem Kopf. Diese glimmen leicht im gelblichen Licht der über hundert Teelichte.
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Der leuchtende Nebel vor seinem Kopf nimmt Attila zeitweise die Sicht auf sein Kunstwerk. Er sieht zwei verschwommene Lichtbänder, die sich in der Entfernung annähern und beim Torborgen schwächer leuchten. Plötzlich beginnt das eine Leuchtband an seinem Ende zu flackern. Die erste, unbekümmerte Vermutung, dass eine Windböe die Kerzen vorübergehend dimmt, wird schnell durch das Ausbleiben der kühlenden Erfrischung widerlegt. Irritierend ist für ihn zugleich, dass sich das Flackern langsam in seine Richtung bewegt - viel zu langsam für eine Windböe. Attila hält den Atem an und beugt sich vorsichtig nach vorn, um besser sehen zu können. Während er mit seinem Kopf das schützende Innere der glimmenden Dampfwolke verlässt, stößt er beinahe gegen eine Besucherin, die direkt vor ihm steht.
"Upps, was schleicht denn hier durch die Nacht!"
"Wieso WAS?", Anja gibt sich entrüstet: "Ich bin WER!"
Natürlich sieht sie Attila von dem Augenblick an auf dem Tritt sitzen, in dem sie den Bogen durchschreitet und den Torweg betritt. Er scheint sie nicht zu bemerken, da sein Kopf in weißen Dampf gehüllt ist. Sie nutzt die Gelegenheit und geht langsam und geräuschlos auf ihn zu. Spitzenpolitiker erschrecken - welch ein Spaß! Obwohl Attila gar kein Politiker mehr ist und die Zeit der Angstträume, in denen ihn die weißen Killerkaninchen verfolgten, längst hinter sich gelassen hat, bereitet es ihr trotzdem Freude. Einen kleinen Schreck wird er schon bekommen. Noch bevor Attila sich über das heimliche Anschleichen beschweren und Anja ihn fragen kann, warum er vor der Tür sitzt, überschlagen sich die Ereignisse auf dem Torweg. Zwischen den beiden Reihen glimmender Papiertüten erstrahlt ein Lichtblitz. Urplötzlich ist der gesamte Raum zwischen den Gebäuden grell ausgeleuchtet. Ein Übermaß an Licht füllt ihn aus, das sogar die Schatten der Helligkeit weichen müssen. Der Gedanke, eine Beschwerde über den Verlust jeglicher Beleuchtungsatmosphäre zu formulieren, blitzt in Attilas Hirn auf und flimmert kurz durch sein Bewusstsein. Das Erscheinen eines großen, leuchtenden Objektes verdrängt diesen Impuls jedoch, bevor er ihn in Laute fassen kann. Attila steht inzwischen neben Anja und beide betrachten das große, ovale, leuchtende Gebilde, das vor ihnen schwebt. Es gleicht einem auf der Spitze stehenden, mannshohen Ei. Seine Oberfläche scheint leicht transparent zu sein und das Licht aus sehr tiefen Schichten zu stammen, von denen es sich nach außen durcharbeitet. Ausschließlich ein sehr leises Zischen ist zu hören. Selbst die Umgebung hält den Atem an. Einige Sekunden später kommt Bewegung in die Leuchtblase. An der oberen Spitze des Gebildes entsteht ein ebenfalls leuchtendes Band. Es wächst kontinuierlich und windet sich dabei in einer großen Spirale um den Körper, als ob es das von innen nach außen dringende Licht mit weiterem Licht einhüllen möchte. Mit der Berührung des Fußendes des Eies beendet das Band sein Wachstum. Dafür beginnt die gesamte Spirale langsam zu rotieren. Attila hält das Gebilde inzwischen für einen brennenden Busch. Unabhängig davon, wie das Gewächs mit einem Mal mitten auf dem Torweg stehen kann, erinnert er sich natürlich an den vorletzten Abend. Seine Erinnerungen und das immer noch spürbare Gefühl der Unsicherheit bezüglich der Folgen seines Handelns, blockieren jegliche, logische Schlussfolgerung über die Herkunft des Gebildes. Im Gegensatz zu dem vergangenen Ereignis ist er sich heute ganz sicher, nicht der Verursacher des Feuers zu sein. Brennendes Buschwerk ist immer eine Bedrohung für das Leben. Zumindest ist seit zweitausend Jahren bekannt, dass die geistige Gesundheit davon in Mitleidenschaft gezogen wird. Heute handelt er als Held, heute beschützt er seine Mitmenschen und die Volksgesundheit vor dieser Bedrohung! Die Gelegenheit ist günstig, um etwas von seiner Schuld abzutragen. Auch wenn es nur ein sehr kleines 'gutes Werk' angesichts der nach seinem Gefühl riesigen Schuld ist, Attila ist sich der anschließenden Dankbarkeit sicher. So holt er einen großen Pulverlöscher aus dem Lagerraum und läuft mit diesem die Auffahrt hinauf. Eine biblische Offenbarung möchte er in jedem Falle verhindern - brennende Büsche duldet er nicht, ob mit oder ohne Offenbarung.
"So einen Unfug ertrage ich heute nicht auch noch!"
Während dieses Ausrufs verlässt unter lautem Zischen ein breiter Strahl des Löschpulvers das Handstück am Ende des kurzen Löschschlauches. Der Aufprall der Pulverkörnchen auf die Außenluft formt den Strahl in einen großen Kegel um, dessen Boden Attila geschickt auf das mannshohe Leuchtei ausrichtet. Das Gebilde und Attila selbst stehen sofort in einer hellen, undurchsichtigen Wolke aus feinem Staub, in der jedes Feuer ersticken muss - nicht so das Licht in dem Objekt. Die leuchtende Spirale steigert ihre Rotationsgeschwindigkeit weiter und das Pulver scheint einfach durch sie hindurch zu gehen. Irgendwo unter der oberen Schicht des leuchtenden Gebildes trifft es auf einen Widerstand. Attila erkennt dies an dem Pulver, das nach dem Aufprall wieder zurück geschleudert wird, eine Staubwolke bildet und ihn einhüllt. Plötzlich verschwindet das Licht vor ihm. Es zieht sich innerhalb von Sekundenbruchteilen auf einen Punkt in Kopfhöhe zusammen. Anschließend verlischt auch dieser letzte, verbliebene Leuchtpunkt. Zurück bleibt Dunkelheit. Innerhalb der Wolke aus Löschpulver, das langsam auf den Torweg rieselt, scheint er allein zu sein.
"So, das wär's! Der Spuk ist au..."
"...hrrhk, hkr, hrrr", ein Husten aus dem Inneren der Wolke unterbricht ihn.
Erschrocken weicht Attila einen Schritt zurück und verlässt mit dem Löscher in der Hand den Dunst.
"Pffff, ffff. So ein Dreck. Was soll denn das? Werden Gäste hier immer so begrüßt? Dann komme ich nicht mehr her."
Die Wolke hört nicht auf zu sprechen, sie beschwert sich deutlich über die Behandlung. Unter lautem Schimpfen tritt ein Mann aus ihr hervor, sieht sich nach allen Seiten um und geht auf Attila zu. Unwillkürlich weicht Attila weiter zurück. Schritt für Schritt geht er rückwärts, bis er neben Anja an der Eingangstür steht, die ihm jeden weiteren Rückzug abschneidet. Der Ankömmling ist seltsam gekleidet. Er trägt eine Art Rüstung, die aus vielen schwarzen Platten unterschiedlicher Größe besteht, die auf einen ebenfalls schwarzen Anzug genäht sind. Die Platten reflektieren überhaupt nichts. Keinen einzigen Strahl des spärlichen Lichts werfen sie zurück, das die verbliebenen Windlichte verbreiten, die Attilas Löschversuch überlebt haben. Ihr Schwarz saugen jeden Quant aus der Umgebung auf. Die Jacke des Fremden endet an den Ärmeln in breiten Messingringen, die eng um die Handgelenke geschlungen sind. In die Ringe sind gebogene Anzeigen eingelassen, auf den Zahlenkolonnen in verschiedenen Farben vorbeiflimmern. Ähnliche Anzeigen sind an den unteren Rändern der großen, dunklen Brille zu erkennen, die der Gast trägt. Etwa vier Meter vor der Eichentür bleibt er stehen und betrachtet ruhig und aufmerksam Anja und Attila. Letzterer findet zuerst die Sprache wieder, was für einen ehemaligen Politiker nicht ungewöhnlich ist. Hat er doch frühzeitig gelernt, sich aus jeder Situation herauszureden.
"Entschuldige bitte, aber kannst du nicht ein Schild vor dir tragen oder dich anderweitig ankündigen? Wer kann denn bitteschön wissen, dass in einem Leuchtei von der Größe eines brennenden Busches ein Mensch steckt!"
"Geht beides nicht", antwortet der Fremde und zieht bedauernd die Schultern nach oben. Er streckt den rechten Arm nach vorn und zeigt auf Attila: "Aber du musst doch auch nicht gleich alles Unbekannte löschen..."
"Ja gut, das sehe ich ein. Ich habe überreagiert", antwortet Attila überrumpelt und etwas leiser. Er fügt hinzu: "Ich mache es wieder gut. Gib mir einfach deine Sachen, ich wasche sie schnell. Mit dem Trockner bin ich in einer Stunde fertig."
"Lass 'mal gut sein. Mein Anzug muss nicht gewaschen werden, der ist selbstreinigend, hat seit Jahren kein Reinigungsmittel gesehen."
Anja und Attila sehen zuerst sich und dann ungläubig den Fremden an. Dieser scheint gar keine andere Reaktion erwartet zu haben. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand wischt er leicht über die linke Ärmelmanschette aus Messing und tippt anschließend eine Stelle auf dieser an. Er steht plötzlich in einer Wolke aus Staub- und Löschmittelpartikeln. Der Anzug scheint sie abgesprengt zu haben. Nachdem die Staubwolke sich verzogen hat, sehen die Kacheln und Pailletten des Anzuges noch dunkler aus. Niemand würde vermuten, dass die Rüstung nicht gerade erst fertiggestellt wurde. Sie scheint vor einer Minute vom Bügel im Verkaufsregal des Spezialgeschäftes für undurchdringlich schwarze Leuchtanzüge genommen worden zu sein.
"Upps, ich hätte ihn wohl gestern schon einmal reinigen sollen, da war doch noch etwas Straßenstaub zwischen den Fasern."
Attila öffnet den Mund, um etwas zu sagen, bringt jedoch keinen Ton hervor. Mehr als eine Minute starrt er den Fremden an. Dieses Mal hilft auch das Politikertraining nicht. Er fühlt sich getäuscht und zu Unrecht eines Fehlers beschuldigt, wollte er doch nur helfen! Sehr langsam findet er wieder zu sich selbst, in seinem Gesicht beginnen sich Falten zu bilden, die sich immer hektischer und unregelmäßiger bewegen.
"Ja und warum regst du dich jetzt eigentlich auf?"
Attila würgt diese Frage wütend und wieder sehr laut hervor, dreht sich um und geht ohne ein weiteres Wort in das Haus. Natürlich tritt er dabei mit Nachdruck auf. Seine Schritte hallen den langen Flur entlang und poltern anschließend die Treppe hinauf. Die Bohlen der Dielen biegen sich knarrend, als ob sie mit seinem Protest sympathisieren.
Anja kann sich ob Attilas Abgang das Lachen nicht mehr verkneifen. Zuerst kichert sie vor sich hin, dann muss sie laut und anhaltend lachen.
"Herzlich willkommen im Spreewald - wer auch immer du bist. Komm mit hinein, bestimmt möchtest du zu Matz", vermutet sie.
Anja wischt sie sich mit der rechten Hand die Tränen aus den Augen und deutet mit der linken in den Flur hinter der offen stehenden Eingangstür.