Nach getaner Polizeiarbeit

There are lots of untruths to their write-ups,
They are not so merciless as that;
They hate all the laws,
The stool pigeons, spotters and rats.

Bonnie Parker

"Das war doch ganz lustig. So könnte jeder Streifeneinsatz sein", resümiert aufgeräumt einer der Polizisten.

Dabei schüttelt er wiederholt den Kopf, als ob er Wasser in den Gehörgängen hat und es mittels der ruckartigen Bewegungen heraustreiben möchte. Das Streifenduo steht wieder im Treppenhaus, beide erfreuen sich an der Stille und rekapitulieren den Einsatz. Zwei Etagen unter sich hören sie den Hausmeister bei der Beseitigung der Holzsplitter fluchen.

"Das war lustig … LUSTIG? Ohne diesen Heinz - Dacapo hätten wir geklingelt und den Bürger daran erinnert, dass er noch Nachbarn hat. Das hatte er wahrscheinlich nur vergessen - der war doch wirklich nett - hat uns sogar noch einen Tee angeboten. Wir hätten eine Zeile schreiben müssen: fertig. Jetzt haben wir zwei zerstörte Türen, Gebrauch einer 'Dienstwaffe' in einem Wohnhaus, verängstigte Bürger, nahezu unendlich viele Missachtungen von Bürgerrechten … Schreibarbeit bis zum Feierabend und wahrscheinlich noch Aussprachen, Schulungen, Belehrungen, … DAS ist NICHT LUSTIG, das ist der GAP!"

Der ältere Polizist ist aufgebracht. Seinen Feierabend hatte er sich anders vorgestellt. Dieser verrückte Abgesandte des Bundeskriminalamtes hat nicht nur den Ausklang dieses Tages verdorben, sondern gleichzeitg auch noch viele nachfolgende Arbeitstage auf dem Gewissen.

"Hääääh?"

Bei seinem jüngeren Kollegen ist zwar das Gehör wieder vollständig hergestellt, er ist aber immer noch so begriffsstutzig wie zu Beginn des Einsatzes.

"Mensch! Der 'Größte Anzunehmende Polizeiunfug'."

"Meinst Du, das wird so schlimm?"

"Nun ja, nicht ganz: War ja schließlich der D-a-c-a-p-o. Von dem wird schon lange nur noch so etwas erwartet. Ist einfach nur ärgerlich und alle Reviere der Stadt werden die kommenden zwei Wochen auf unsere Kosten lachen... Die Presse hat etwas zu schreiben... Hoffentlich tauchen darin nicht unsere Namen oder gar Fotos auf! Der Polizeipräsident darf wieder einmal brüllen und das BKA spielt geheimnisvoller Geheimdienst und ist nicht erreichbar."

"Was meinst du?"

Nicht nur das Treppenhaus ist dunkel, da das Licht erloschen ist, nein auch bei dem jüngeren Polizisten hat sich das 'Licht der Erkenntnis' noch nicht eingestellt. Sein älterer Kollege wird langsam etwas ungehalten. Beide flüstern im Dunkel automatisch.

"Alle sind zufrieden: Wir haben innerhalb von Minuten jedes Klischee bedient, das es bezüglich Polizei, Staatsapparat und Geheimdienst gibt!"

"Ich verstehe immer noch Bahnhof!"

"Mein Gott: Stell dir einfach vor, unser cholerischer, oberster Stadtpolizist könnte sich nur über den Kaffee aufregen, den er von seiner Sekretärin serviert bekommt - das wäre doch dämlich - oder!"

"Ja, stimmt. Jetzt verstehe ich dich."

"Na siehst Du. Und wir werden zum Streifendienst versetzt."

"Ja aber, wir fahren doch schon Streife…"

"Stimmt, hatte ich vergessen - schlimmer kann es so und so nicht kommen."

Beide Polizisten sehen sich deprimiert und zugleich auch belustigt an. Was war eigentlich geschehen? Ein offensichtlich nicht ganz normaler Geheimdienstbeamter - nicht sie, sondern jemand anderes - hat in einem Wohnhaus wild um sich geschossen. Nicht sie, sondern dieser Geheimdienstbeamte hat Eigentum der Hausbewohner und des Immobilienbesitzers zerstört. Es sind Bürger belästigt und eingeschüchtert worden durch - nicht sie - sondern den Dacapo. Also: Sie haben nichts angestellt. Sie sind nur nicht eingeschritten. Aber gegen das Tun eines Geheimdienstes dürfen sie gar nicht einschreiten. Ein klassisches 'other-ones-problem'. Und schlimmer als Streife kann es für einen Polizisten in der großen, bunten Stadt so und so nicht werden.

"Wo ist der eigentlich hin?"

Der jüngere Polizist schaltet das Licht wieder ein und sieht sich im Treppenhaus um. Der Dacapo ist nicht mehr bei ihnen. Eine der Türen oder gar die Haustür hatten sie aber auch nicht klappen gehört. Beide lauschen auf Geräusche im Treppenhaus - herrlich, diese Stille. Dem aufgebrachten Hausmeister möchten sie nicht begegnen. Der würde nur seine Wut über die sinnlosen Zerstörungen an ihnen auslassen. Da er nicht mehr zu hören ist, verlassen die Polizisten vorsichtig und unauffällig das Haus.

****

Vor dem Haus hat sich in den wenigen Minuten nichts verändert. Direkt neben diesem steht ihr Streifenwagen, ruhig, sicher, einladend. Beide begeben sich schnell in den Schutz der blau-weißen Blechhülle. Ihr Streifenwagen ist nicht nur ein Faradayscher Käfig, der vor Blitzschlag schützt, sondern auch ihre sichere Zuflucht - ihre Fluchtburg. Die Schirmwirkung des Streifenwagens dehnt sich auch auf verärgerte Bürger aus. Hier sind sie vor den Einwohnern des angeschlagenen Hauses sicher. Keine Fragen, die ihnen Antworten abverlangen, welche doch nur Ausflüchte sein können. Auf der anderen Seite der Straßen parkt immer noch der überblaue Einsatzwagen des Dacapo und dieser ist immer noch durch die vielen, blauen Leuchten verunstaltet. Der jüngere Polizist erinnert sich an seine Frage nach dem Verbleib des Dacapo.

"Sag' mal, hast du den Dacapo verschwinden sehen?"

Sein Kollege schüttelt den Kopf. Beide versuchen sich an das Geschehen in der Wohnung zu erinnern. Nachdem Dennis Simulation der Reinigungsmaschinen abrupt auf eine gewaltige Art und Weise beendet wurde, entspannte sich der Dacapo. Anschließend beruhigten sich alle. Da es nichts mehr zum Zerschießen gab, blickte der Geheimdienstler gelangweilt aus dem Fenster. Plötzlich interessierte er sich für den orangenen Fleck an der Fassade des gegenüberliegenden Hauses. Er hat dann etwas von einem 'Maler' gesagt und dabei drückte sein Gesicht gleichzeitig Freude und Entsetzen aus. Anschließend haben beide den Dacapo aus den Augen verloren. Er hat wohl sofort nach seiner Entdeckung die Wohnung verlassen.

"Oh Gott! Nimmt das heut' überhaupt kein Ende!"

Der ältere Polizist sieht auf seine Armbanduhr und schlägt in einer theatralischen Geste die Hände vor sein Gesicht.

"Vielen Dank Herr! Wir haben seit 11 Minuten und 35 Sekunden Dienstschluss", entfährt es ihm.

In dem Ausbruch schwingt so viel Erleichterung mit, dass im gesamten Wagen eine entspannte Atmosphäre fühlbar wird - nahezu. Fast zeitgleich ist ein entsetzter Ausruf aus dem Haus zu hören, das sie vor wenigen Minuten verlassen haben.

"Wolfi! Mein Wolfi ist weg!"

Wenige Sekunden später ein neuer Schrei, der sich viel näher als der erste anhört. "Bringt mir meinen kleines Hundi zurück! Hilfe, Wolfi ist entführt worden!"

Beide Polizisten sehen sich an und haben sofort den gleichen Gedanken: der Pekinese im Mantel des Dacapo.

"Komm: nur weg hier, wir sind nicht mehr im Dienst!"

Zurück bleiben ein leicht demoliertes Haus mit verängstigten Einwohnern, die nicht beantwortete Frage nach dem Verbleib eines Pekinesen und zwei warme Spuren von Gummiabrieb auf der Straße.

****

Dennis hängt gemeinsam mit dem Hausmeister die Wohnungstür wieder ein. Dessen Laune ist inzwischen auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt. Er hätte jetzt eigentlich in seiner kleinen Hausmeisterwohnung beim Bier sitzen sollen. Nun muss er auch noch dem Veranlasser des heutigen Chaos helfen, einen kleinen Teil davon wieder zu richten. Damit er sich in seine schlechte Laune ungestört hineinsteigern kann, hat er sich einen Mundschutz umgebunden und eine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt. Er bedeutet auf diese Art jedem Vorbeikommenden: sprich mich nicht an - ich antworte nicht. Zumindest ist der unmäßige Krach beendet - komplett. Der zerbrochene Türrahmen ist mit fünf langen Holzschrauben schnell rekonstruiert. Drei Hammerschläge bringen das Schließblech wieder in eine funktionale Form. Und schon hängt die Tür im Rahmen und die Wohnung ist verschließbar: Schaden beseitigt, Wohneinheit gesichert, abrechenbare Arbeiten abgeschlossen.

Dennis hat unterdessen andere Sorgen. Wahrscheinlich wird Christiane erst Tage später die Risse und Beulen entdecken - hoffentlich. Dennis kann dann wie immer behaupten, dass er natürlich unschuldig ist und sich an keine Begebenheit erinnern kann, die zu diesen Erscheinungen passt. Ungeachtet des abendlichen Zwischenfalls entwickelt sich der Urlaub doch prächtig. Zuerst die Idee mit der Simulation der Straßensauger und jetzt sogar noch ein Polizei- und Geheimdiensteinsatz in der eigenen Wohnung, den er auch noch als Videostream ins Netz gebracht hat. Die Aufzeichnung davon muss er natürlich noch etwas schneiden und die Dramatik darin einer kleinen Dramaturgie unterziehen. Das wird seinem Videokanal einige Klicks und Likes einbringen. Langweilig wird ihm so bestimmt nicht werden und hoffentlich geht das so weiter. Vielleicht ist ja noch eine Steigerung möglich? Wenn nur nicht das Kostümfest am letzten Wochenende des Urlaubs wäre. Er muss sich nicht verkleiden, um Spaß zu haben. Das haben doch nur komplett Verklemmte nötig. Wie soll er sich überhaupt verkleiden? Christiane hat für sich ein Kostüm gekauft. In dem Geschäft war sein Protest teilweise erfolgreich: für ihn wurde keines angeschafft. Aber Kostümfest ohne Verkleidung? Muss er sich wirklich verkleiden? Er möchte doch gar kein anderer sein. Er ist Dennis, das ist originell genug - Punkt. Am Anfang des Urlaubs hat wenigstens noch Yoga geholfen, um die drohende Erinnerung an die Kostümparty zu verdrängen. Nun sind es nur noch drei Tage. Auch sein Hinweis, dass eine Feier am Freitag vor 'Totensonntag' nicht passend ist, war nicht erfolgreich. Das brachte ihm nur die erstaunte Gegenfrage, ob er jetzt zu Gott gefunden habe, ein. Er wird wohl nicht um das schreckliche Erlebnis 'Kostümfest' herumkommen. Irgendwie übersteht er diesen einen Abend auch - in drei Tagen. Dennis führt eine heimliche Liste seiner 'Lieblingstätigkeiten'. Heimlich muss sie sein, da Christiane ihm eine wunderschöne Szene bereiten würde, wenn sie die Notizen fände. Dank truecrypt sind diese natürlich nur für ihn und die NSA lesbar. Von letzteren droht ihm wohl keine Gefahr, zumindest deshalb nicht. Auf jeden Fall hat sich der Begriff 'Kostümfest' bereits einen der oberen Listenplätze erarbeitet. Ein ungelöstes Problem bleibt aber nach wie vor: Was wird er in drei Tagen anziehen?