Stufe 7 - In der Not schmeckt der Fisch auch ohne Brot

Die siebente Stufe löst alles in Wohlgefallen auf. Der Aufgestiegene ist am Ziel angekommen und seine Seele bildet eine Einheit mit allem, was war, ist und sein wird.

Der rocket snatch liegt auf dem Boden des Flures, exakt an der Stelle, bis zu der die beiden Hilfsgeheimpolizisten ihn gezogen haben. An Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt, kann er sich nicht bewegen, nicht einmal eine Veränderung seiner Lage ist ihm möglich. Der große, rußgeschwärzte Blechkasten ist nach wie vor auf seinen Bauch gebunden. Mit seinem Gewicht fixiert er ihn auf dem grauen, fleckigen Fußbodenbelag. Der Dacapo zeigte kein Bemühen, das ausgebrannte Raketentriebwerk von dem hässlichen Ganzkörperanzug des Küchenterroristen zu trennen. Nach der Ursache für die Verwüstung in seiner Wohnung hat er gar nicht weiter geforscht. Er hat einen Ganoven identifiziert und festgesetzt, das ist ihm Hintergrund genug. Gesehen, erwischt, gefangen - so einfach ist das für den mächtigen Geheimpolizisten. Er fühlt sich gut, da der Tag nun einen würdigen Abschluss hat. Auch wenn sich der festgesetzte Superschurke erst am Anfang seiner Karriere befindet, bisher nur ein kleines Verbrecherlicht ist. Für diese Nacht ist er ruhig gestellt und kann keine weiteren Superabscheulichkeiten begehen. Die Einwohner der großen, bunten Stadt sind vorerst vor ihm sicher.

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Ein anderes Problem ist jedoch nach wie vor ungelöst: Der Hunger bohrt intensiver denn je im Inneren des Dacapo! Während der aufregenden Geschehnisse um den explosiven Verlust der elektrischen Brotmaschine hat er sein unbefriedigtes Bedürfnis vollständig verdrängt. Nun meldet es sich mit einem lauten Gurgeln in seinen leeren Eingeweiden zurück, zum wiederholten Mal am heutigen Tag. Nachdrücklicher als vorher kämpft es um seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ungeduldig streift er durch die zerstörte Küche, auf der Suche nach Lebensmitteln, die die Katastrophe überstanden haben. Schranktür auf, Schranktür zu, ..., Auszug auf, Auszug zu, ..., Inspektion eines Regalbodens, ... In seiner Küche befinden sich nur noch zerbrochenes Geschirr und sonstige Sachen, die eindeutig als Abfall klassifiziert werden müssen oder die er nie essen würde. Aus den letzten Dingen, die als Lebens- oder Nährmittel nutzbar gewesen wären, hat er den Teig für das Orangen-Whisky-Brot rühren lassen. Der hat leider mittels einer kräftigen Explosion die Küche verwüstet und seine Reste haben sich in dieser Katastrophe vollständig im Raum verteilt. Was davon nicht mit den heißen Gasen durch das Fenster entwich, ist als kleine, braune Punkte auf Wänden und Möbeln zu finden. Für eine eingehende Würdigung dieser Umdekoration hat der Dacapo im Augenblick keine Blicke übrig. Der bohrende, beißende Hunger nimmt alle seine Sinne in Beschlag. Zusätzlich treibt ihn dieses brennende Gefühl in eine rast- und erfolglose Suche. Dabei knirschen die Sohlen seiner schweren Schnürstiefel nervenzerrend auf den vielen Scherben, die den Boden bedecken. Jeder Schritt lässt den gefesselten rocket snatch stöhnen.

”Aufräumen steht erst für morgen auf der Tagesordnung”, spricht der Dacapo gedankenverloren zu sich und dem kleinen Hund.

Miezi ist der scharfkantigen und schmutzigen Bodenbedeckung durch einen Sprung auf den Tisch entkommen. Das einzige Möbel, das die Explosion halbwegs sauber hinterlassen hat - bis auf einen großen Brandfleck in der Mitte. Von der starken Luftbewegung sind alle Scherben und Staubpartikel auf den Boden geblasen worden und den zerborstenen Automaten hat der Dacapo persönlich durch das geplatzte Fenster entsorgt. Damit besitzt zumindest ein kleiner Teil des Raumes eine Grundordnung. Auf dem dunklen Fleck in der Mitte des Tisches sitzt das Geheimpolizeitier, hat den Kopf etwas zur Seite geneigt und beobachtet interessiert die Bemühungen seines Partners und Fütterers. Vielleicht findet dieser wirklich noch etwas Essbares in Chaos, Asche und Schutt. Den Kühlschrank hat sich der Dacapo als ’Hort der Hoffnung’ bis zum Ende aufgehoben. Normale Menschen lagern dort verderbliche Lebensmittel, nicht so der mächtige, rastlose Superheld des Polizeigeheimdienstes. Wer stets und ständig im Dienst ist und sich kaum in seiner Wohnung aufhält, schafft keine Nahrungsmittel an, die verderben können. Für Beschäftigungen wie die Zubereitung eines Essens aus Frischwaren oder gar die regelmäßige Nahrungsaufnahme bleibt einfach keine Zeit. Der Dacapo kauft grundsätzlich und ausschließlich die vom Innenminister vorgeschriebenen Lebensmittel, die sich mindestens zwei Jahre halten. Folglich kann der Kühlschrank nur leer sein. Es ergibt sich nie die Notwendigkeit, etwas in ihm zu deponieren. Warum er den für ihn nutzlosen Verbraucher bisher noch nicht vom elektrischen Netz trennte, fällt ihm nicht ein. Es muss wohl so etwas wie Beharrungsvermögen sein und das Festhalten an Traditionen und Verhaltensweisen, die er im Laufe seines Lebens erlernt hat. Oder er hat gerade keine Muße, um sich in die gedankliche Untersuchung zu vertiefen. Vielleicht ist dies aber auch das Resultat einer subtilen Beeinflussung durch den Energieversorger. Natürlich möchten der, dass alle elektrischen Geräte und ganz besonders die nutz-, sinn- und gebrauchslosen, ununterbrochen eingeschaltet und mit dem Netz verbunden sind: Was brummt, das kostet.

Am Ende seiner nervösen und vom Hunger getriebenen Suche tastet er sich vorsichtig zu dem großen, weißen Kühlschrank vor. Auf der glatten Oberfläche von dessen Tür fallen ihm erstmalig die kleinen, braunen Flecke auf, welche die Explosion im ganzen Raum hinterließ.

”Huch, wie sieht denn der aus?”

Zögernd streckt er die Hand zum Griff aus. Soll er die Tür öffnen? Beim besten Willen kann er sich nicht an den Inhalt des Gerätes erinnern. Was wird ihn in dessen Innerem erwarten? Kraftlos lässt er die Hand wieder sinken, da er mit unaussprechlichem Horror rechnet und annehmen muss, dass er noch nie in den Kühlschrank gesehen hat. Wurde der nicht vor zwei Jahren geliefert, aufgestellt und angeschlossen, als er sich mehrere Wochen in einem Einsatz befand? Ja, das muss die Großrazzia gegen die homöopathischen Autoschieber gewesen sein. Glaubten die doch wirklich, dass der Verzicht auf die Erzeugnisse der chemischen Industrie und Pharmakonzerne sie unsichtbar für die Polizei machte. Dem Dacapo entging natürlich nichts und niemand, schließlich war er im ausdrücklichen Auftrag der Macht unterwegs. Bei seiner Verhaftung hatte der Chef der Bande deutliche Mangelerscheinungen, die laut dem in der Untersuchungshaft ausgestellten ärztlichen Gutachten auf mangelnde, persönliche Hygiene zurückzuführen war. Nachdem eine gründliche Reinigung ihn wieder auf die Beine gebracht hatte, konnte er sich nur wenige Wochen später nicht mehr an seine kriminellen Taten erinnern. Trotzdem wurde er verurteilt. Seit diesem Einsatz vertritt der Dacapo die Arbeitsthese, dass vegane Ernährung, Homöopathie, Verzicht auf technische Errungenschaften, die Leugnung wissenschaftlicher Tatsachen und anderes, populäres Verhalten, die Verbrecher aggressiv und dumm machen. Leider bleibt ihm neben der Verfolgung und Verhaftung der vielen Straftäter nicht ausreichend Zeit, um diese von ihm aufgestellte These zu beweisen. Zumindest sichert er Beweise und schafft sich eine statistische Grundlage für eine spätere Analyse. So befragt er jeden Verhafteten gewissenhaft nach Ernährung, Hygieneroutine, Bildungsstand und anderen, grundlegenden Lebensgewohnheiten. Fünf Fragen hat er sich dafür einfallen lassen. Die Antworten auf diese charakterisieren nach seiner Auffassung einen Menschen allumfassend in seinem Verhalten. Das Ergebnis notiert er in einem kleinen Notizbuch. Es enthält nur noch wenige, unbeschriebene Seiten und wartet auf eine finale Auswertung.

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Natürlich muss auch der rocket snatch diese Prozedur über sich ergehen lassen. Der sprudelt sofort, ohne den kleinsten Anschein des Nachdenkens, eine gehörige Menge an unpassenden Antworten hervor.

”Oki doki”, der Dacapo zieht das Notizbuch aus der Tasche, blättert ruhig bis zur ersten, unbeschriebenen Seite und deutet mit gefährlichem Unterton an: ”Jetz haab ick n paar Frajen an dir.”

Dem rocket snatch kommt die gesamte Situation surreal vor. In der Vergangenheit waren seine Verhaftungen komfortabler. Zumindest die Beamten haben ihn mit dem Respekt behandelt, der einem technischen Superschurken gebührt. Dieser hier ist anders - gefährlich anders. Er hofft, die Situation etwas auflockern zu können. Mit einer großen Kraftanstrengung in seinen Bauchmuskeln stützt er den Oberkörper um wenige Zentimeter in die Höhe und presst eine Frage durch die zusammengebissenen Zähne heraus.

”Darf ich mich setzen? Ich liege hier sehr unbequem auf dem blanken Boden.”

”Klappe - ick fraje und du quatscht erst, wenn ick dich befehle”, antwortet der Dacapo und mit Blick auf die gefesselte Kombination aus blechernem, abgebrannten Raketentriebwerk und Verbrecher.

”Für Janoven jibt et nischt, außer unbequem. So’n abjewrackter Feuerwerkskörper, wie du ena bist, hat hia nischt zu wolln”, setzt er nach.

Für den schurkischen Versager ist das verständlich genug. Seine Bauchmuskeln entspannen sich sofort und krachend schlägt der Kopf auf das graue Linoleum des Flurs.

”Au.”

Der Dacapo überhört Geräusch und Äußerung ungerührt, räuspert sich und doziert seine erste Frage hervor. Dabei lässt er die Spitze des kleinen Bleistifts wenige Millimeter über dem Papier schweben, in froher Erwartung einer spannenden Antwort.

”Isste jeräuchertn Ziejenkäse - so füa jewöhnlich?”

”Nein, das mag ich gar nicht. Ich würde jetzt gern ein blutiges Steak essen, das kurz durch heiße, gelbe und leuchtende Flammen geschwenkt wurde. So wie die aus meinen Triebwerken, weißt du ...”, schwärmt der liegende Ganove, ”... natürlich übergossen mit Vanillesoße und garniert mit welken Minzblättern und ...”

”Grrrr, pfui Deibl!”, unterbricht ihn der Dacapo.

Mit der Antwort zu den Ernährungsgewohnheiten kann er nicht viel anfangen. Sie passt so gar nicht in das Bild, das er sich von dem Gefangenen bisher machte. Irritiert notiert er deshalb nur einen knappen Stichpunkt: ’- isst blutige Ziegen lieber als deren Käse’.

Die zweite Standardfrage soll das Verhältnis des interviewten Verbrechers zur Körperhygiene und den dabei üblichen, technischen und chemischen Hilfsmitteln klären. Er hat die Teilfragen zu Chemie und Gadgets gekürzt und kombiniert. Schließlich verfügen Kriminelle gemäß seiner Erfahrung über eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne. Da heißt es, schnell zu sein. So hofft er, mit dieser komprimierenden Fragetechnik Zeit zu sparen und den Probanden nicht zu überfordern. Dass er auf seine irritierende Frage bisher ausnahmslos ein ’Nein’ als Antwort bekam, hat den Dacapo noch nicht dazu gebracht, diesen Teil seiner Untersuchung zu überdenken. Schließlich ist er die Norm in der Gesellschaft und seine Mitbürger haben sich nach ihm zu richten.

”Nimmste nen Nasenhaarentferner mit Rasierwassa?”

”Ja, eine Zahnbürste - einstechen, wickeln und ziehen”, kommt als Antwort, noch bevor der Dacapo seinen Mund schließen kann.

In seinem Hirn bildet sich sofort eine deutliche Vorstellung von diesem Vorgang, seltsamerweise in kräftigen Farben. Er sieht den verrückten Verbrecher, wie er sich eine große Zahnbürste in sein linkes Nasenloch rammt und diese mit einem freudigen Grinsen im Gesicht zuerst nach links und dann nach rechts rotiert. Schließlich reißt er das Putzgerät mit einem kräftigen Ruck wieder heraus. Wurde nicht auf diese Art und Weise im Ägypten der Pharaonen direkt vor der Mumifizierung das Hirn entfernt? Dies hat man doch auch mit einem speziellen Werkzeug durch die Nase gezogen. Eventuell wurde ihm gerade die Ursache für die kriminelle Energie offenbart, die in dem Gefangenen so heftig brodelt. Irgendetwas hat wohl die entstandene Leere aufgefüllt. Der Dacapo ist tief in die Bilder seiner Fantasie versunken und denkt unwillkürlich laut.

”... weiche oder mittelharte Borsten ...”

”Natürlich extrahart!”

Diese prompte und unorthodoxe Antwort fasziniert ihn so, dass er entgegen seiner sonstigen Vorgehensweise mit einer weiteren Nachfrage zum Thema ’Hygiene’ herausplatzt.

”Wirklich? Nutzde och det Rasierwassa?”

”Ja natürlich: Zahnbürste aus Nase ziehen, Rasierwasser einsaugen, dann schnauben und abschließend schreien”, antwortet der rocket snatch ehrlich entrüstet.

Der Dacapo kann das stechende Brennen des Alkohols und der ätherischen Öle in seiner eigenen Nase fühlen. Unwillkürlich zieht der virtuelle Schmerz seinen Körper mit einem kräftigen Zucken zusammen und schüttelt ihn. Die heftige Bewegung befreit von den Gedanken und entfernt zum Glück die schmerzvolle Vorstellung aus seinem Kopf.

”Autsch!”

In sein Buch schreibt er nur: ’- hygienisch schmerz- und merkbefreit; außerdem masochistisch veranlagt’. Was kann er schon von einem Verrückten erwarten, der sich vor den Fassaden der großen, bunten Stadt im freien Fallen übt.

Mit der nächsten Frage möchte er den Bildungsstand seines Fanges klären. Gemäß seiner in dem Buch gesammelten Erfahrungen sind Techniker schwer einzuschätzen. Häufig verfügen sie nur über ein Inselwissen oder können Tatsachen aus verschiedenen Bereichen der Bildung und des Wissens nicht miteinander kombinieren.

”Issa Nordpol obm oda untn?”

”Oh, das hängt ganz von meiner Flugrichtung ab.”

Da unerwarteterweise keine weiteren Ausführungen folgen, gibt sich der Dacapo irritiert: ”Watt?”

”Also, wenn ich die unteren Schubdüsen aufdrehe und die oberen drossele, dann fliege ich im Kopfstand - so ist DER Pol unten. Na und der andere Pol, also der im Süden, ist dann oben. Das kann ich auch ganz schnell einmal ändern, mit den Düsen. Also wenn ich dann die ...”

”Aus! Reicht mia! So ville will ick ja nich schreibn”, unterbricht der Dacapo schnell.

Er überlegt einige Sekunden, wie sich der Redeschwall zusammenfassen lässt und notiert dann: ’- kann sich nicht konzentriert ausdrücken und sprudelt Wissen sinnlos heraus’. Irgendwie wird er aus diesem Einbrecher nicht schlau. Er versteht die irren Antworten nicht, kann sie nicht in den Kosmos seine Erfahrungen einordnen.

Noch komplizierter wird es für ihn mit der nächsten Frage-Antwort-Kombination. Das Verhör zur Analyse des Medienkonsums läuft komplett in eine kommunikative Sackgasse.

”Watt guckstn füa Filme inne Glotze?”

”Fenster”

”Wa? Wie jetz?”

”Aus-dem-Fenster-starren!”, wiederholt der Befragte langsam und auf die Aussprache Wert legend.

”Ah - ach so - ja - gut?”

Der Dacapo ist ob der Antwort so verunsichert, dass er sogar seinen Dialekt vergisst, seine verbale Tarnung aufgibt. Im Inneren des Verbrecherkopfes scheint nach der Entfernung des Hirns noch nicht alle Leere durch kriminelle Ideen ausgefüllt zu sein. Da ist noch jede Menge Freiraum - für Besserung oder den vollständigen Wahnsinn. Er mutmaßt, dass auch die Logik abhandengekommen ist und normaler Menschenverstand und Struktur ebenfalls abgängig sind.

Beinahe möchte er an diesem Punkt die Befragung beenden, die er inzwischen für sinnlos hält. Die Ergebnisse sind wahrscheinlich nicht verwertbar. Aus reiner Routine stellt er dann doch noch seine letzte Frage nach dem Lieblingstier und blickt dabei verträumt und stolz auf Miezi.

”Watt isset liebste Tier füa dia?”

”Ratten sind wunderschön, angeschmort, tot und verkohlt. So mag ich sie am liebsten. Weißt du, wenn sie unter eines der Triebwerke gekommen sind, sehen sie anschließend so richtig niedlich aus. Ich könnte ...”

Weiter kommt der rocket snatch nicht mehr. Der Dacapo überlegte nur kurz, ob er sich die Ohren zuhalten, oder den Verrückten mithilfe seiner gewaltigen Dienstpistole ruhig stellen soll. Seine Hände sind schneller als sein Verstand. Sie greifen nach einer Rolle grauen Panzertapes, reißen einen Streifen des textilverstärkten Klebebandes ab und kleben es über den Mund des am Boden liegenden und gefesselten Einbrechers: Endlich herrscht Ruhe und der Wahnsinn kann dessen Kopf nicht mehr verlassen!

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Der Dacapo schüttelt die unerfreulichen Erinnerungen der letzten Minuten ab, konzentriert sich wieder auf seine Lebensmittelsuche und greift an den Türgriff des Kühlschrankes. Abermals lässt er die Hand sinken. Ist der Kühlschrank nicht auch ein elektrisches Gerät? Erst vor wenigen Minuten explodierte der Brotbackautomat auf seinem Küchentisch und hinterließ neben dem hässlichen Fleck eine Unmenge an Trümmern. Ist hier eine zweite Explosion möglich? Nach einer weiteren Überlegung bückt er sich, greift hinter das große Gerät und zieht dessen Stecker aus der Dose. Schnell geht das monotone Brummen in tiefere Töne über und erstirbt.

Endlich traut er sich, den Kühlschrank zu öffnen. Ohne Innenlicht sieht er anfangs nur ein großes Loch in einem enttäuschend trüben Grau. Allmählich gewöhnen sich seine Augen an die Dunkelheit in dem stillen, unbefüllten Gerät. Plötzlich verfängt sich ein einsamer Lichtstrahl der Deckenbeleuchtung auf einem blanken, metallenen Gegenstand, der ganz hinten im Gemüsefach liegt. Der Dacapo beugt sich in den Kühlschrank hinein und betrachtet interessiert den einzigen Inhalt, der sich in dem Gerät befindet. Eine einsame, blanke Büchse langweilt sich dort offensichtlich seit Jahren. Um ihren flachen Bauch ist ein weißes Etikett geklebt, auf das ein schwarzer, großer Panda gedruckt ist. Obwohl er die sehr klein gedruckte Beschriftung in dem schwachen Licht nicht lesen kann, freut er sich über den Fund: Der Inhalt der Dose ist mit höchster Wahrscheinlichkeit essbar!

"Komm Miezi, wir jenehmjen uns nen Panda im eichnen Saft!", wendet er sich freudig an seinen tierischen Begleiter.

Der kleine Pekinese kann seine Worte nicht versteht, schließt jedoch aus Intonation, schneller Aussprache und dem Lächeln, das diese begleitet, auf einen erfolgreichen Abschluss der Suche. Sofort antwortet das Tier mit einem freudigen Bellen. Noch während des kurzen Weges zum Küchentisch öffnet der Dacapo die Dose mit dem Thunfisch. Ein unzerstörter Teller für Miezi und eine Gabel für ihn selbst sind schnell gefunden.

Der rocket snatch muss gefesselt vom Boden des dunklen Flures dem Siegesmal zusehen. Durch die halb geöffnete Tür hören ihn die Essenden stöhnen.

”Haste schonn mal jehört, dass Jefangne nich hungern müssn?”, kommentiert der Dacapo mit vollem Mund die Geräusche.

Miezi und der Dacapo sind kurz darauf zwar nicht satt, ihr Hunger ist jedenfalls für die nächsten Minuten besänftigt. Die Mystik des Brotbackautomaten, dessen Bedienung und seine Bedeutung für ihr gemeinsames Leben sind gelöst. Beide sind sich in der Beurteilung solcher Maschinen einig: Den Murks benötigt niemand! Faktisch als Zugabe liegt auch noch ein Verbrecher gefangen und gefesselt bereit zum Abtransport in die Untersuchungshaft. Besser hätte der Abend nicht enden können. Ende gut - alles gut? Nicht für den gefangenen Superschurkenlehrling: Der bekommt es mit der Angst zu tun, als er bemerkt, wie sehr sich seine Fänger ohne Worte verstehen. Zwischen Tier und Mensch scheint es eine telepathische Kopplung zu geben. Zu allem Überfluss denkt der Dacapo auch noch laut nach, wie er ihn morgen ins Bundeskriminalamt transportieren kann.

”Wie soll ick det Paket nur liefern? ... Ah! Janz einfach. Ick schubsn mit seinen Blechkastn einfach de Treppe runter. Sind nua siebn Etajen. Untn issa denn wach ...”

Die Beschreibung provoziert im Flur ein lang anhaltendes Stöhnen. Es berührt die beiden anderen Anwesenden nicht. Der Dacapo begibt sich zufrieden zu Bett und der kleine Hund legt sich vor die Eingangstür der Wohnung. Seine Beute wird er nicht entwischen lassen.

"Jute Nacht, Miezi."

"Grrr!"

Nachdem das Licht in der Wohnung erloschen ist, pfeift nur noch der Nachtwind durch das zerborstene Küchenfenster und der rocket snatch stöhnt ein letztes Mal gequält auf. Deprimiert, hungrig und enttäuscht ergibt er sich seinem Schicksal.