Vor den Toren der großen Stadt

Wer rastet, der rostet und
wer ausrastet, der zahlt.

Märkisches Sprichwort

Um zur Tankstelle zu gelangen, musste Heinz quer durch den Ort fahren. Obwohl er für sich als 'Polizist im dringenden Einsatz' keine Notwendigkeit sah, sich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit zu halten, empfand er diese Unterbrechung seiner Fahrt als unakzeptabel. Aber: ohne Benzin kein Dröhnen, keine Bewegung und keine Einschüchterung der Verbrecher. Die Unterführung unter der Bahn nahm er mittig. Zum Glück der ihm nicht entgegenkommenden Fahrzeuge war er schnell durch diese hindurch und am dahinter befindlichen Kreisverkehr. Dieser war eng und mit 60 km/h für einen schweren und weich gefederten Oldtimer eine wahre Herausforderung. Eine ältere Frau, festlich gekleidet und wohl auf dem Weg zum sonntäglichen Besuch der Konditorei, hielt erschrocken die Luft an. Aus schreckensweit geöffneten Augen beobachtete sie, wie ein großes Auto in den Kreisverkehr raste. Dröhnend und quietschend trotze der Wagen den Gesetzen der Radial-, Flieh- und Schwerkräfte. Die linken Räder schwebten bereits einen halben Meter über den Asphalt, während das Auto im Kreis schleuderte. In dem der Frau zugewandten hinteren, dreieckigen Fenster hing ein kleiner, bräunlich-weißer Hund. Dieser wurde von den Fliehkräften gegen das Glas gedrückt. Er zappelte gegen die Gewalt der Physik an und bellte, scheinbar ohne Wirkung, gegen diese Fahrweise. Bevor das Fahrzeug umschlagen konnte, ließ der Fahrer den Kräften ihren Willen und es schlingerte quietschend aus dem Kreisverkehr in Richtung Ortsausgang davon. Die wiedergewonnene Stabilität seines Wagens nutzte der Fahrer sofort aus. Er trat das Gaspedal durch und der V8 Motor beantwortete dies mit lautem Röhren. Die letzten Tropfen des Benzins wurden vom Tank in Richtung der Vergaser gepumpt. Erst nachdem der Lärm verklungen war, wurde der Frau bewusst, dass sie während des gesamten Geschehens das Atmen vergessen hatte. Die Luft aus ihren Lungenflügeln entlud sich in einen spitzen Schreckensschrei.

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An der Tankstelle fuhr Heinz, ohne auch nur an eine Verminderung der Geschwindigkeit zu denken, auf die Einfahrt. Er hatte auf der geraden Straße im Ort etwa 70 km/h erreicht. Polternd hüpften die Reifen über den Bordstein, der den Rasenstreifen zwischen Tankstelle und Straße abgrenzte. Direkt neben den Zapfsäulen schaltete er in den Leerlauf und zog die Handbremse mit einem kräftigen Ruck an. Alle vier Reifen verfielen in ein lautes Quietschen, der Wagen vollführte eine prompte 180-Grad Wendung und rutschte unter infernalischen Geräuschen seitwärts bis vor die zweite Benzinpumpe. Schaukelnd kam das große amerikanische Gefährt zum Stillstand. Es wiegte sich in seiner Federung und Heinz ließ die acht Zylinder noch einmal aufbrüllen, bevor er die Zündung abschaltete. Der Rauch vom Gummiabrieb verwehte langsam zwischen den Zapfsäulen.

Im Inneren des Tankstellenshops war der Lehrling an die Glastür geeilt. Er wollte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen und zu dem interessanten Wagen laufen. Der Tankwart kannte den Dacapo bereits. Bei fast jedem Einsatz südlich von Berlin entdeckte dieser in Erkner, dass der Tank seines Einsatzwagens leer war.

"Du setzt dich jetzt da hinten in die Ecke, sagst keinen Ton und kommst erst wieder zum Vorschein, wenn ich's dir sage", war die Ansage des Tankwarts.

"Ja aber ich ..."

"Willst du morgen noch leben oder etwa nicht?"

Unter dem Vordach der Tankstelle öffnete der Dacapo den Tankdeckel am Heck des Wagens. Zum Vorschein kam ein dunkles Loch, scheinbar ohne Boden. Diesem Schlund hatte er bereits hunderte von Liter Benzin geopfert. Alles war darin verschwunden, ohne jemals wieder aufzutauchen. Ein mächtiger Sog erfasste ihn und versuchte ihn in Richtung des gefräßigen, schwarzen Loches zu ziehen. Es würde nicht nur das Benzin, sondern auch ihn verschlingen. Mit aufgerissenem Mund und geweiteten Augen blickte er auf das magisch, mystische Loch und stolperte erschrocken rückwärts.

"Hugh!"

Den Benzinrüssel hatte er schon aus der Halterung an der Zapfsäule genommen. Der Schreck ging so tief, dass der Dacapo den Griff der Pistole am Ende des Schlauches fest zusammendrückte. Eine Fontäne gelben, stark riechenden Kraftstoffes schoss hervor und zerteilte sich in der Luft in viele kleine Tropfen. Dort wo diese auf den Betonboden trafen, bildete sich leichter Schaum, der schnell wieder zerfiel.

"Oh, wow! Das's 'mal Action", staunte der Lehrling im Shop, dessen Nase bereits das Fenster berührte.

Der Tankwart schüttelte den Kopf: "Nee, is' nur 'ne riesen Sauerei. Geh 'mal schon nach hinten und hol den Eimer mit Sand und 'ne Schaufel."

Der Dacapo zappelte immer noch mit der Zapfpistole herum, die herrliche, gelbe Fontänen sprühte und schien Figuren in die Luft zu malen. Mit einem plötzlichen Ruck beendete er die Aufführung und stemmte das Metallstück in das Einfüllloch am Heck seines Wagens. Fast zeitgleich sprang er einen Meter zurück, griff sich über die Schulter und beförderte eine riesige Pistole aus einer Tasche auf dem Rücken seines schwarzen Ledermantels. Er ging mit dem gewaltigen, brüllenden Wüstenadler in Angriffsstellung und fixierte den Einfüllstutzen, in den gerade weitere Unmengen von Benzin gluckerten. Offensichtlich schien er zu befürchten, dass die Gummischlange ihn würgen und in das schwarze Loch stecken würde. Das Klicken der Verriegelung an der Zapfpistole zeigte an, dass der Tank gefüllt war. Das Geräusch riss den Dacapo gleichfalls wieder in die Gegenwart zurück. Verwundert sah er auf die Waffe in seiner rechten Hand und die Benzinpfütze unter ihm.

"Watn dat! Hier is ja alles kaputt!"

Der Lehrling war natürlich nicht auf dem Weg, um den Eimer mit Sand zu holen. Er klebte im wahrsten Sinne am Fenster. Seine Nase war an dieser plattgedrückt und der offene Mund berührte das Glas ebenfalls - wie ein Saugwels im Aquarium.

"He, atme Junge!" Der Tankwart zog ihn sanft von der Scheibe ab. "Das Schauspiel is vorbei, der is wieder bei sich. Jetzt hol nen Eimer!"

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"Ahh, die Staatsgewalt. Na, wie gehts? Alles o.k.?" Angesichts der großen Pistole, die der Dacapo immer noch in der Hand hielt, traute sich der Tankwart nicht, das Benzindesaster anzusprechen.

"Na gewaltig! Alles locker sonst. Bis auf draußen: is ja voll-kaputt. Musst du 'mal reparieren, Mann." Erst jetzt bemerkte Heinz die Pistole, die er immer noch in der Hand hielt.

"Wat soll'n dat nu schon wieda. Wer hat mir die denn schon wieda inne Hand jedrückt."

Er jonglierte das zehnzöllige Eisenteil routiniert über die linke Schulter und ließ es in dem Halfter auf seinem Rücken verschwinden.

Der Tankwart ignorierte den gesamten Vorgang geflissentlich. So nervös wie sein Kunde mit der Zapfpistole umgegangen war, war er bestimmt auch am Abzug einer Schusswaffe.

"Sie zahlen wie immer mit der Tankkarte vom Amt?"

"Jo."

"Soll ich alle 122 Liter in einem Vorgang abrechnen?", ist die vorsichtige Anfrage des Tankwartes. Vielleicht wollte der Kunde sein Malheur von vor wenigen Minuten nicht auf der Abrechnung zu seinem Dienstwagen haben. Er würde einfach zwei Rechnungen erzeugen - eine für die Tankkarte des Amtes und eine private über das verplemperte Benzin für den Beamten.

"Jojo", antwortete der Dacapo, ohne mit einer Wimper zu zucken.

"Dann bitte hier die Karte hineinstecken."

Der Dacapo steckte versonnen die Karte in das Lesegerät, das ihm der Tankwart zugeschoben hatte. Von einem Werbeaufkleber, der die Stirnseite des Gerätes bedeckte, lächelte ihn ein Mann mit Zigarette an. Der grinsende Raucher ähnelte zum Verwechseln dem Controller seiner Abteilung. 'Oh Gott, der schon wieder! Das kann doch nicht wahr sein.' Der Controller stand kurz vor seinem 50 Geburtstag, wohnte immer noch bei seiner Mutter und diese kommandierte ihn in einer Art herum, die der Dacapo einfach nicht verstehen konnte. Täglich rief sie um 08:01 Uhr an und erkundigte sich, ob ihr Sohn auch wirklich angekommen war. Pünktlich um 11:59 Uhr erreichte die Dienststelle immer wieder ein Anruf, um ihn an das Mittagessen zu erinnern. Chronisch um 15:59 Uhr folgte der Anruf an die Assistenz des Teams. Sie bekam die Einkaufsliste für den Sohn diktiert und zusätzlich wurde ihr noch die exakte Zielzeit für dessen Ankunft in der Wohnung eröffnet, die dieser gefälligst einzuhalten hatte. Nach zehn Jahren täglicher, quälender Wiederholung lachte niemand mehr darüber. Ohne zu zögern, gab Heinz zum fünften Mal in diesem Monat das Geburtsdatum der Mutter des Controllers als Kilometerstand in das Gerät ein. 'Irgendwann muss der Typ das doch merken.' war sein Gedanke dazu. 'Und wenn der mich bemerkt, dann sage ich ihm mal, was er sich gefallen lassen muss und was nicht.' Danach ging es ihm deutlich besser. Er hatte das warme Gefühl in der Magengegend, das sich bei ihm immer nach einer guten Tat einstellte.

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Miezi hatte während der Betankung des Transportmittels viel Langeweile. Das Auto schaukelte nicht mehr und ein Abstoßen von den Seitenfenstern, an die er in den Kurven geworfen wurde, war auch nicht mehr notwendig: zusammengefasst 'zero action'. An Schlaf konnte der Pekinese nach der Schlingerfahrt und der Aufregung mit dem langen, braunen Band trotzdem nicht denken. Schließlich war das kleine Tier immer noch in dieses eingewickelt. Es glich förmlich einer braunen Mumie mit hellen Streifen. Nach einer Pause der physischen Erholung, die nur wenige Minuten andauerte, fühlte sich Miezi kräftig genug für eine neue, wilde Hüpferei. Wie ein Ball aus hoch elastischem Gummi, der mit viel zu viel Energie versorgt worden war, bewegte sich das Hündchen durch die Fahrgastzelle des Oldtimers. Es knurrte, bellte, kläffte und das Plastikband, das es umwickelt hatte, zerriss bei der heftigen Bewegung in viele Einzelteile, die durch die Luft schwirrten. Das Fangen dieser Schwebbänder war ein Spiel, das Miezi gern annahm. Gefangene Bänder wurden weiter zerkleinert: Das war endlich einmal kein Katzenfutter, da gab es etwas zum Zerbeißen! Innerhalb von Sekunden wurden die Bänder zu Bändchen, zu Bändelchen, zu Schnipsel und finalisierten als Konfetti. Dieses war aus dem dünnen Plastikmaterial des Magnetbandes entstanden und durch die viele Reibung mit dem Fell des kleinen, hyperdynamischen Tieres elektrostatisch aufgeladen. Angezogen von der Verkleidung, den Sitzpolstern und auch den Scheiben, verteilte es sich statistisch gleichmäßig im gesamten Innenraum. Als der Dacapo die Fahrertür öffnete, saß Miezi ruhig und zufrieden mittig auf der Rückbank, freute sich schwanzwedelnd über das fertiggestellte Werk und erwartete ein Lob.

"Hugh!", aufgerissene Augen und wieder ein Sprung zurück. Dem Dacapo blieb heute aber auch gar nichts erspart.

"Hört die Schweinerei denn jar nich' auf? Wer holt denn das wieda hier raus?"

Als er die Tür energisch hinter sich zuschlug, flogen viele kleine, braune Pünktchen durch die Luft. Von den Wirbeln, die der rasant anfahrende Wagen hinter sich bildete, wurden sie lustig zum Tanzen gebracht. Im Innern war Heinz dabei, die Frontscheibe durch hektisches Wischen wieder durchsichtig zu bekommen. Mit einem Mal hatte er es sehr eilig und war abgefahren, bevor er den kompletten Durchblick auf die Straße hatte.

"Miezi, da kann ick ja nix sehn!"

Der Ausruf wurde von einem scheppernden Poltern begleitet, das mit einem Mal rechts neben ihm begann. Es rollte am Wagen vorbei und wurde hinter ihm schnell leiser, als der Dacapo auf der Straße beschleunigte. Bei der Tankstelle konzertierten die Hupen mehrerer Autos. Die umgestoßene Blechtonne war mitten auf die Straße gerollt und trudelte dort langsam aus. In beiden Richtungen staute sich bereits der Verkehr - die ersten Fahrer hatten zu ihrer Sicherheit gehalten. 'Bin im Einsatz, kann nicht aufräumen.' Diesen Gedankengang unterstrich der Dacapo noch, indem er Rundumleuchten und Sirene einschaltete und maximal beschleunigte. 'Dieser Dopplereffekt is einfach herrlich!', freute er sich - obwohl er ihn im Wageninneren gar nicht genießen konnte. Damit war er wieder auf dem Weg zu seinem Einsatz in Storkow (Mark).

Der Tankwart rollt gemeinsam mit dem Lehrling die Tonne zurück und freute sich ebenfalls, da sie unverletzt waren. Außerdem war ärgeres Chaos ausgeblieben.