Das dröhnt...
Die Flucht nach vorn ist besser als ein Rückenschlag.
Erwin "Der Tiefleger" - Profi-Wrestler
... das Ding' - war der erste Gedanke von Attila, als am noch kühlen Morgen in seiner Wohnung ein fliegendes Etwas aufgetaucht war. Anfangs hatte er nur ein schneidendes Summen gehört. Dieses hatte ihn geweckt. Beim Aufwachen mischte sich dieser hartnäckige Umwelteinfluss mit seinem Traum. Er wurde von meterlangen Urzeitinsekten verfolgt, die mit einem Mal dem Alien-Polizisten vom Sonntag glichen. Schlagartig und mit angstgeweiteten Augen schreckte er von seinem provisorischen Lager auf dem Küchentisch hoch. Noch war er nicht vollständig wach, trotzdem hatten der hohe Ton und die Intensität sofort einen seiner internen Alarmschalter betätigt. Das war kein natürliches Geräusch, dass zu einem Herbstmorgen und der verträumten Straße vor dem Haus passte. Durch das im Feuer zerborstene Fenster der Küche schwebte ein Insekt zu ihm herein, dass viel kleiner als die prähistorischen Wespen war, vor denen er noch einem Augenblick zuvor flüchtete. Irgendwie war Flucht das zentrale Moment aller seiner Gedanken, Handlungen und Träume. Der abrupte Bildwechsel zwischen Traum und Wirklichkeit und die nicht befriedigte Erwartung, unterbrachen den Fluchtreflex. Er wurde durch Neugier vollständig überlagert. Attila rutschte vom Tisch herunter und machte einen vorsichtigen Schritt auf das Flugobjekt zu. Intensiv summend verharrte es vor ihm in der Luft und betrachtete ihn aus einem kalten, großen Kameraauge. Es war ganz klar kein Lebewesen. Das handtellergroße Gerät schien vier symmetrisch angebrachte Propeller zu besitzen und sich so sicher in der Luft bewegen zu können, wie er selbst es nur auf dem Boden konnte.
Sein zweiter Gedanke an dem Morgen war: 'Technik beißt nicht.' Also ging er weiter auf den Eindringling zu und streckte die Hand in dessen Richtung aus, um ihn zu fangen. Dieser spielte nicht mit und wich aus. Egal wie sich Attila bewegte, das Fluggerät hielt immer den gleichen Abstand zu ihm. Es folgte ihm sogar in die anderen, düsteren Räume und beobachtete ihn ununterbrochen. Gerade in dem Augenblick, als sein Kopf von dem unablässigen, monotonen, schneidenden Summen zu zerspringen drohte, drehte es sich abrupt in der Luft und schoss durch das Küchenfenster wieder davon.
Irgendwo hatte er so etwas schon einmal gesehen. Erst nach einigen Minuten intensiven Nachdenkens fiel es ihm wieder ein. Seine Zeit als Spitzenpolitiker einer Partei lag erst wenige Wochen hinter ihm. Hektik und Eindrücke der ganzen Flüchterei hatten die Erlebnisse aus der vorhergehenden Etappe seines Lebens überraschend schnell in den Hintergrund und die Untiefen seines Hirns verbannt. 'Das ist eine Drohne!' war sein dritter, morgendlicher Gedanke. Er hatte solche Technik bei einer Vorführung an einer Hochschule gesehen, die er während seines Wahlkampfes besucht hatte. Die Forschungsdrohnen waren nur sehr viel größer gewesen. Wesentlich deutlicher, als an die Technik, konnte er sich an die Aufstockung der Forschungsgelder auf das 10-fache erinnern, die er einfach so versprochen hatte. Er hatte nie vorgehabt, auch nur irgend eines der Versprechen zu halten - seine Ziele waren ganz anderer Natur gewesen: Alles war auf den großen Coup ausgerichtet, den sie im Führungszirkel der Partei geplant hatten. Es hatte der größte Raub in der Geschichte der Menschheit werden sollen. Zu allem Überfluss wäre er auch noch komplett straffrei gewesen. Politiker dürfen schließlich mit Steuergeldern alles tun, was sie möchten und haften grundsätzlich nie für die Folgen ihrer Taten.
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Im Laufe des Vormittags erscheinen drei weitere Drohnen. Diese flogen immer wieder in die Wohnung und schienen ihn bei allen Tätigkeiten zu beobachten. Es war nicht so, dass er viel tat - er lag oder saß auf dem Küchentisch und sah aus dem Fenster. In der meisten Zeit beobachtete er die Wolken auf ihrem langsamen Weg über den Himmel. Als die Drohnen ihn wieder besuchten, faszinierte ihn zuerst die absolute Synchronität ihres Fluges. Die Navigationsmanöver erinnerten ihn an die Vorführung eines Verbands von Jagdflugzeugen aus Anlass einer Militärparade. Schnell fiel ihm auf, dass die kleinen Flieger ihre Kameras immer auf ihn ausgerichtet hatten und ihn nicht aus ihren 'elektronischen Augen' ließen. Es war, als ob sie ihn 'anstarrten'. Nun fühlte sich Attila wirklich bedroht! Er musste unbedingt etwas gegen die ungebetenen Spione unternehmen. Als hätten sie die Rückkehr von Initiative in ihrem Beobachtungsobjekt geahnt, verließ die fliegende Technik seine zerstörte Wohnung.
Die Ruhe währte nicht lang. Am frühen Nachmittag tauchte ein ganzer Schwarm an Flugtechnik auf. Das sonore, lautete Summen erfüllte alle Räume seiner Wohnung. In jedem Raum waren mindestens zwei Drohnen und schienen alles an Informationen aufzunehmen, was sich ihnen bot. Sein Nachbar wurde auf den Lärm aufmerksam und klopfte energisch an die Reste der Wohnungstür. Er fühlte sich in seinem Nachmittagsschlaf gestört.
"Sage 'mal! Du kannst doch jetzt nicht staubsaugen. Warte gefälligst bis um drei."
Als dann die ersten Drohnen hinter Attila im Flur auftauchten und ihm auch noch in das Treppenhaus folgten, verzog sein Nachbar angewidert das Gesicht.
"Ähh - was hast du dir denn da eingefangen! Pfui, sind das hässliche Käfer. Sieh nur zu, dass die nicht in meine Wohnung kommen."
Hastig drehte sich der Mann um und verschwand mit zwei kurzen Sprüngen im Flur seiner Wohnung. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Eine der Drohnen konnte der zügigen Bewegung des Türblattes nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Ein lautes Quietschen ertönte, kleine Teilchen aus Plastik flogen durch das Treppenhaus und das Gerät wurde in Richtung der unteren Etage geschleudert. Polternd fiel es die Treppenstufen hinunter und blieb regungslos in einer Ecke des Absatzes liegen.
Der Vorfall und die zerstörte Drohne lösten einen ganzen Tsunami an Initiative in Attila aus. Er würde die elektrischen Spione mit einer großen Fliegenklatsche einen nach dem anderen erschlagen! In seiner Küche quollen die Töpfe und Pfannen aus dem Schrank. Die Schranktür und die Zwischenböden hatte das Feuer zu Staub zerfallen lassen. Die gesamte Topfordnung war zusammen gebrochen und ein Teil der Kochwerkzeuge hatte sich aus dem Schrank herausgewagt. Kurz entschlossen zog Attila eine große Aluminiumpfanne aus dem Stapel, der dabei laut polterte und das nervige Summen der Drohnen für einige Momente übertönte. Attila schlug mit der Pfanne wild nach allen Fluggeräten, die sich in seiner Nähe befanden. Leider blieb der Erfolg aus. Attila vollführte einen wahren Veitstanz. Immer wieder wichen die kleinen Biester seinen Angriffen aus. Erst, als er sich bereits völlig verausgabt hatte und aufgeben wollte, konnte er eine Drohne in einer Ecke des Raumes isolieren und ihr damit jeglichen Platz für Ausweichmanöver nehmen.
Mit einem wuchtigen Schlag, der den letzten Vorrat seiner Kraft aufbrauchte, erlegte Attila das elektromechanische Insekt. Plastiksplitter spritzten wie Blut unter der Aluminiumpfanne hervor und mischten sich mit der Asche auf dem Fußboden zu einem dreckigen, staubigen Brei, der unter seinen Schritten knisterte. Das vom Brand befleckte Kochutensil hatte keine neuen Dellen bekommen. Durch die Wärme der 'Gasverpuffung zur Umerziehung' hatte der Belag der Pfanne Blasen geschlagen. Sie hatte sich für lange Zeit mitten in dem heißen Plasma befunden. Die anderen Drohnen im Raum erstarrten in der Luft, bildeten eine Pfeilformation und traten den Rückzug durch das Fenster an. Attila hatte wirklich den Eindruck, dass sie sich ob der Vernichtung eines Kameraden erschrocken hatten und in Todesangst flohen. Es war beruhigend für ihn zu erfahren, dass dieses eine Mal nicht er die Flucht antrat.
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Das war der Zeitpunkt, an dem Attila beschloss, 'die Fliege zu machen'. Er verschwand ohne Brummen aus der Wohnung - diese überließ er dem Schwarm der Drohnen, der bestimmt zurückkehren würde. Die Nacht wollte er in der Anonymität des kleinen Verschlags auf der ersten Etage des Treppenhauses verbringen. Dieser war durch eine Tür verschlossen und rundum blickdicht. Für diesen Abend hatte er einen Plan. Danach war alles offen und mehr als planlos.