Attilas Alptraum - Auch Politiker träumen nicht von Schafen

Attila steht auf einer Wiese mit Wahlplakaten. In seinem satten Grün leuchtet ihn das kurzgeschnittene Gras an. Es fängt weich federnd seine Schritte ab und sieht so saftig aus, fast möchte er hineinbeißen. Obwohl es um die Mittagszeit ist, verspürt er keinen Hunger und lässt das Gras unangetastet. Die Mittagssonne des Spätsommertages steht immer noch hoch und beleuchtet warm und weich die Gegend. Attila fühlt sich gut. Er ist auf dem aktuellen Gipfel seiner Macht angekommen, als frisch gewählter Ministerpräsident des Landes Brandenburg.

Die weite, grüne Unendlichkeit ist mit hellen, bunten Tupfern übersät. In unregelmäßigen Abständen stehen Aufsteller mit Wahlplakaten. Die beklebten Flächen sind exakt nach Süden ausgerichtet. Attila steht direkt neben einem dieser großen, hölzernen Schilder. Es ist mit seinem Konterfei verziert - sein Wahlplakat, das ihn auf den Brandenburger Thron gehoben hat. Liebevoll betrachtet der das mediale Kunstwerk. Fast möchte er es streicheln.

An dem einen und anderen der Plakate stehen auch Kandidaten aus den letzten Wahlkämpfen. Attila kennt sie alle - auch persönlich. Einige davon sind sogar wirklich nette Menschen. Wäre da nicht die interparteiliche Kluft, würde er gern mit ihnen befreundet sein. Leider ist dies nicht einmal auf Basis einer Koalition möglich. Sein furioser Sieg brachte ihm und seiner Partei eine absolute Mehrheit im Parlament ein. So muss er allein regieren. Er ist König Attila. Die Siegesfeier nach der Wahl war gigantisch. Die Menschen haben ihm zugejubelt und er hat noch einmal all seine Wahlversprechen wiederholt. Wäre da nicht die Angelegenheit mit den Kaninchen gewesen...

Von einem Augenblick auf den anderen schlägt die Situation auf der großen Wiese um. Wo gerade noch saftiges Grün war, wachsen weiße Flecken auf dem Boden. Sie werden zusehends größer. Zuerst denkt Attila an Pilze - vielleicht Champignons oder weiße Schirmpilze. Zu seinem Erschrecken bekommen die Flecken Ohren, dann Nasen und Augen und zu allem Überfluss hüpfen hin und her. Die schwedischen Killerkaninchen sind wieder da!

Die Farbe des Schauplatzes wechselt immer mehr von dem vorherigen Grün in ein schmutziges Weiß. Die Schwedischen Killerkaninchen (SKK) kommen mit Flößen über die Ostsee. Das gute Wetter ist auf ihrer Seite und unterstützt sie maximal. Mecklenburg ist bereits überrannt und fest in ihrer Gewalt. Da Attila Ministerpräsident in Brandenburg ist, muss der sein Land vor der Epochalen Invasion Schwedischer Killerkaninchen (EISKK) retten. Er muss das ihm anvertraute Land unbedingt gegen die EISKK verteidigen - schließlich ist er König Attila und sein Volk vertraut ihm. Die aktuellen Statistiken weisen ihn nicht umsonst als beliebtesten Spitzenpolitiker in deutschen Landen aus. Schweiß beginnt ihm über das Gesicht zu laufen: Er muss das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen, koste es, was es wolle. Noch fehlt ihm eine Idee. Wo sind eigentlich seine ganzen Staatssekretäre, sie müssen ihm Lösungsvorschläge zuarbeiten! Am rechten Rand seines Blickfeldes nimmt er eine Bewegung in der Luft wahr. Kurz darauf trifft ihn ein Papierflieger am Kopf. Attila hebt das gefaltete Blatt Papier vom Boden. Es enthält handschriftliche Notizen. Ein Liebesbrief von einer Wählerin? Er sieht sich um, kann jedoch keine seiner Verehrerinnen in der Nähe entdecken. Sollte er hier und zu diesem Zeitpunkt von den Stalkerinnen verfolgt werden? Er faltet den Bogen auseinander und beginnt zu lesen. Nein! Es ist eine Botschaft von einem seiner Staatssekretäre, mehr oder weniger eine Stichpunktliste:

  • Ich lehne jegliche Verantwortung ab.
  • Es handelt sich bei der Invasion der Killerkaninchen um eine unvorhersehbare, höhere Naturgewalt.
  • Ich habe im Vorfeld keinerlei Hinweise darüber von unserem Geheimdienst bzw. anderen Geheimorganisationen bekommen.
  • Einen Sachverständigen für Kanincheninvasionen, der das Land in dieser schweren Lage beraten kann, habe ich nicht gefunden.
  • Meine persönliche Empfehlung ist der Einsatz der Brandenburgischen Luftwaffe. Ein Flächenbombardement mit Mohrrüben kann die Situation entspannen.
  • Wegen dem Flughafenbau übersteigen die Kosten eines Militäreinsatzes leider die Möglichkeiten unseres Landes. Deshalb empfehle ich den Verkauf des Oderbruchs an Russland - die können dann dort eine Luftwaffenbasis aufbauen. Alternativ könnten Agrarflieger eingesetzt werden - das vermeidet diplomatische Verwicklungen mit der NATO.
  • Für Erfolg/Misserfolg der vorgeschlagenen Aktion übernehme ich keine Verantwortung.
  • Ich bringe mich persönlich in Sicherheit - ich bitte in Sachsen um Asyl. Im Geiste bin ich weiterhin bei ihnen und unterstütze sie moralisch.
  • Attila ist enttäuscht. Das hohe Gehalt ist mehr als offensichtlich nicht gerechtfertigt. Lösungsvorschläge für eine Beilegung der EISKK kann er aus dieser Richtung wohl nicht mehr erwarten.

    Einzelne, kleine, weiße Kaninchen knabbern an Plakaten ohne Bewacher. Erste papierne Kunstwerke sind bereits von ihnen unkenntlich gemacht. Andere Kaninchen mögen anscheinend das Graben von Gängen mehr. Sie unterhöhlen die hölzernen Plakataufsteller. Unweit von Attila hüpft einer der Bewacher auf der Wiese herum und versucht so die Gänge zum Einsturz zu bringen. Es nutzt nichts: Die SKK sind mit dieser Abwehrtechnik offenbar vertraut, sie graben fleißig weiter. Der hüpfende Plakatverteidiger versinkt laut fluchend bis zur Hüfte im Erdreich. Die Kaninchen honorieren damit das vorhergehende Zerstörungswerk an ihren Gängen und setzen ihn außer Gefecht. Kurz darauf fällt sein Aufsteller um. Sehr langsam kippt die Wand auf den Fasttorso zu, der erschrocken mit den Armen rudert. Er erreicht nicht die notwendige Anzahl von Umdrehungen, um sich wie ein Hubschrauber vom Boden zu erheben. Die Bretterwand fällt direkt auf den Kandidaten im Erdloch. Sie stanzt ihn förmlich zur Gänze in den Boden. Einigen Kaninchen springen auf die liegende Wand und tollen darauf durcheinander: Es sieht aus wie eine tierische Siegesfeier.

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    Eine Plakatwand nach der anderen fällt. Attila muss seinen Aufsteller verteidigen. Er hat einen Kricket-Schläger in der Hand und 'schaufelt' Kaninchen nach links und rechts weg. Diese laufen immer wieder Sturm gegen sein Plakat. Es ist eines der letzten, das noch aufrecht steht. Den Schläger haben ihm seine Freunde aus Australien verkauft: als die ultimative Kaninchenabwehr. Sie müssen das wissen, haben sie doch sehr lange gegen diese Invasoren gekämpft. Es werden immer mehr Kaninchen - kleine weiche, flauschige Tiere, mit scharfen Schneidezähnen sausen durch die Luft. Er versucht seine Schaufeltechnik zu verbessern, wird jedoch zusehends ineffizienter. Attila hat mit einem Mal einen großen Schneeschieber in der Hand und pflügt links und rechts Kaninchen zur Seite und von seinem Aufsteller hinweg. Seine Aktion gewinnt etwas an Effizienz zurück. Er beginnt Hoffnung zu schöpfen.

    Auf der Kuppe eines sanften Hügels vor ihm tauchen mit einem Mal große Mengen neuer Kaninchen auf. Wie die Schaumkrone einer brechenden Welle ergießen sie sich in die Ebene. Verzweifelt schaufelt Attila schneller mit dem Kaninchenschieber. Eine Flotte von Agrarfliegern taucht am Horizont auf. Das Dröhnen der Motoren kündet von vielen Fliegern. Endlich: die Brandenburgische Luftwaffe kommt ihm mit einer rettenden Mission zur Hilfe! Als die Flugzeuge sich nähern, erkennt Attila schwedische Hoheitszeichen. Er kann das nicht einordnen. Leiden die Schweden unter einer Mohrrübenüberproduktion und wollen einen riesigen Rübenberg jetzt kostengünstig entsorgen, in Brandenburg? Über ihm wird der Himmel weiß. Kleine Fallschirme entfalten sich und verdecken die Sonne. Die vielen Flugzeuge speien immer neue Unmengen an Minifallschirmen aus. Sind die Möhren vielleicht überlagert und matschig? Sollen sie den Sturz auf die Wiese ohne Schaden überstehen? Es wird immer rätselhafter. Als die ersten Fallschirme näher kommen, ist es für jegliche, weitere Verteidigungsaktion zu spät. Zu seinem größten Entsetzen erkennt Attila, dass an diesen kleinen Tüchern weitere, weiße Kaninchen zu Boden gleiten. Fallschirmjägerkaninchen - er ist verloren!

    Attila wird von den Kaninchen überrannt. Er wird umgeworfen und die kleinen, flauschigen Tiere laufen über ihn hinweg - erst nur wenige, dann so viele, dass er kaum noch Luft bekommt. Die Kaninchen trommeln mit ihren Hinterbeinen den Rhythmus bekannter, schwedischer Pop-Songs der 70-er Jahre. Attila stöhnt gequält auf. Kurz darauf fällt seine Plakatwand ebenfalls um und begräbt ihn unter sich. Es wird schlagartig dunkel und Attila erwacht schweißgebadet in seinem Bett.