Wozu etwas ändern?

In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehörte ich zu den Millionen junger Menschen, die mit der Welt, mit der atomaren Bedrohungssituation, der permanenten Umweltzerstörung, den antiquierten Regeln des Establishments, dem Fremdenhass und vielen anderen Dingen unzufrieden waren.

 

Unser kollektives Denken und Fühlen hatte offenbar Einfluss auf das Handeln von Politik und Wirtschaft. Es scheint, als habe sich seit damals manches bewegt. Zumindest ist in unserer Region der kalte Krieg beendet, auf die Umwelt wird etwas mehr geachtet, Kinder werden bewusster als Menschen wahrgenommen und die alten Wertesysteme wanken.

Der Sozialismus hat sich bereits selbst zerstört. Der religiöse Fanatismus und die nach Reichtum gierenden Menschen werden sich zunehmend der Lächerlichkeit preisgeben, wenn humanistische Werte sich im kollektiven Unbewussten ausbreiten.

Die Folgen unmenschlichen Handelns wandern als Schreckensbilder um die Welt und kehren in die guten Stuben der Täter und in die verfallenen Hütten der Opfer zurück, ergänzt um andere Sichtweisen und um das Mitgefühl der ganzen Welt. Dieser über das Netz fortschreitende Prozess der Erkenntnis- und Gefühlsvermittlung lässt sich nicht aufhalten.

Solange die für Hass und Krieg und Zerstörung verantwortlichen Menschen nicht reflektiert werden, können sie ihre eigene Schwächen und Ängste auf den Teufel, die Hexen, die Fremden, die Ungläubigen, den Kapitalismus oder andere Instanzen übertragen.

Je mehr Menschen über diese emotionalen Dummheiten lachen, desto stärker werden die Denk-Konstrukte dieser emotional armen Leute erschüttert. Das mag zunächst deren Wut verstärken und deren Gier nach Erfüllung ihrer narzisstischen Bedürfnisse noch mehr anheizen. Doch gleichzeitig dezimiert sich die Schar der Anhänger und Mitläufer. Wer schließt sich schon gerne einer lächerlichen Gruppe an? Was wäre aus dem armselig verrückten Hitler geworden, wenn er nur zehn oder zwanzig ähnlich Bekloppte gefunden hätte?

 

Noch sind wir nicht soweit. Heute sind der Hass und die geistige Armut in unserem Land im Vergleich zu früheren Zeiten und zu anderen Regionen vielleicht etwas geringer. Fast allen geht es zumindest körperlich einigermaßen gut und, wie immer, werden wir auch die aktuelle Krise irgendwie überstehen. Wir könnten uns jetzt um die Emotionen kümmern.

Es drängt:

Dreißig Prozent aller Schulkinder werden gemobbt, also permanent verachtet und belästigt. Eine glückliche Kindheit fühlt sich anders an.

Zweiundzwanzig Prozent aller Mitarbeiter haben innerlich gekündigt und nur zwanzig Prozent haben Spaß an der Arbeit. Der Rest tröstet sich mit der Idee, Sachzwänge ertragen zu müssen und dafür später belohnt zu werden.

Sechsundfünfzig Prozent aller Ehen werden geschieden. Wie es in den irgendwie noch funktionierenden Partnerschaften aussieht und was das mit den Kindern macht, erlebt man immer wieder.

Wie viele Jugendliche beginnen ohne berufliche Perspektive erwachsen zu werden? Wie viele fühlen sich als Almosenempfänger, wertlos für diese Gesellschaft? Und wie viele Menschen leiden in den Alters- und Pflegeheimen?

 

Zu viele, viel zu viele Menschen quälen sich durch die Zeit.

Wenn ich in die traurigen, verzweifelten, ängstlichen, schmerzverzerrten, sich selbst aufgebenden, abgestumpften oder wütenden Gesichter von Kindern, Eheleuten, Mitarbeitern oder älteren Menschen sehe, leide ich mit. In diesem Moment ist es mir egal, ob es zwanzig oder zwei Prozent sind. Mir gefällt es nicht, diese Gefühle ohnmächtig aushalten zu müssen.

Das Navigations-Instrument in der Welt der Emotionen liefert die Empathie. Es ist die Balance, der Friede, ‚welcher höher ist als alle Vernunft’.

Weder Wut noch depressive Gefühle helfen nicht weiter. Wer etwas verändern will, braucht lebendige Visionen und machbare Ideen.

Die Frage nach den Prioritäten wird jeder für sich individuell beantworten. Für mich hat die umfassende Gesundheit, also körperliches, seelisches und geistiges Wohlbefinden, für alle Menschen, für die heutigen und für die zukünftigen, in allen Kontinenten, die höchste Priorität.

Wohlbefinden beschreibt den Zustand innerer Zufriedenheit. Sie entsteht, wenn man sowohl für sich selber als auch für die ‚Anderen’ dafür sorgt, dass Durchsetzung, Zugehörigkeit, Individualität, Sicherheit, Erkenntnis und Empathie angemessen befriedigt werden.

Das innere Team mag diese friedlichen Zeiten. Das Gefühl tiefer Harmonie kann man auch Glück nennen. Es ist keine stabile Größe. Jeder Anruf, jede Nachricht in den Medien, jede gelungene und jede misslungene Aktion, jeder Mensch, der in einer bestimmten Art auf mich zukommt, jedes Geräusch, jeder Geruch, jeder Augenblick kann diese Balance stören. Störungen vermitteln sich durch Gefühle. Sie lassen uns aktiv werden.

Ich lerne, wachsam auf meine Gefühle zu achten und das zu tun, was der Augenblick fordert, und das zu genießen, was die Situation bietet. So oder so: Es ist noch viel zu tun.