Die Seele und das Jenseits

Wenn das Jenseits nur eine nette Idee wäre, könnte ich den Kopf schütteln und in die Küche gehen, um das Essen vorzubereiten. Heute gibt es einen Auflauf aus Nudeln und der Sause Bolognese von gestern. Mit Mozzarella überbacken. Das ist schnell gemacht.

Also schreibe ich noch ein paar Zeilen, denn das Jenseits ist keine nette Idee, sondern ein gewaltiges Paket voller Fantasien mit unmenschlichen Auswirkungen.

Im Diesseits, also hier im richtigen Leben am Schreibtisch oder in der Küche, gleichen sich die Seelen aller Menschen. Unabhängig von Kultur, Religion, Bildung, Geschlecht oder Alter, haben wir sehr ähnliche Gefühle, Hoffnungen und Ängste, haben schmerzhafte und glückliche Erfahrungen und sind allesamt häufig und unabsichtlich von Menschen belogen worden, die ängstlich an das Jenseits glaubten.

Ich möchte einen Beitrag zur ‚Entängstigung‘ leisten.

Dazu mögen Geschichten helfen, die andere Menschen und ich selbst erlebt haben. Es sind wahre ‚Erinnerungen‘.

Sie ähneln sich und erzählen eine Wahrheit: Das Jenseits finden wir in unserer Seele. Es liebt uns und will helfen, uns zu liebevollen, friedlichen Menschen zu entwickeln.

Jetzt kümmere ich mich um das Essen und danach versuche ich, quasi als Vorwort, ein paar Fragen zu beantworten.

Schadet die Wahrheit dem Glauben?

Die Aufklärung führte zum Widerstand durch die Kirche. Naturwissenschaftler, wie Galileo oder später Darwin wurden angegriffen, weil ihre Entdeckungen im Widerspruch zu Aussagen in der Bibel stehen. Heute akzeptieren wir, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist und dass die Evolution ein Entwicklungsprozess ist, der im Laufe der Zeit den Menschen hervorbrachte.

Die Wahrheit hat dem Glauben nicht geschadet.

Dies wird auch nicht geschehen, weil wir uns seit mehr als hundert Jahren zunehmend bemühen, die menschliche Seele zu verstehen.

Wo finden wir Gott?

Das Wissen um die seelischen Zusammenhänge macht es einfacher, uns selbst und andere liebevoll zu verstehen. Wir brauchen keinen Gott, um das Unerklärliche zu deuten, wenn wir es aushalten, nicht alles zu wissen.

Wer mag, kann und darf Gott als zentrale Funktion der eigenen Seele oder als transzendente Instanz nutzen, als Anker für sich selbst oder als gemeinsamen Bezugspunkt in der Kommunikation mit anderen Gläubigen.

Platon sagte, die Seele ist das Ebenbild Gottes.

Im Sufismus heißt es, wer sich selbst kennt, kennt den Herrn (Mohammed s.a.w.s.).

Und im Neuen Testament lesen wir: Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in Euch. (Lk 17, 20)

Gedankliche Konstrukte, wie die Ideen über ein Jüngstes Gericht, Wiedergeburten oder das Paradies, werden seit Jahrtausenden und kulturübergreifend für wahr gehalten.

Es ist zu vermuten, dass diese Vorstellungen für unser seelisches Wohlbefinden hilfreich sind.

Welchen Sinn hat das Paradies?

Irgendwann ist unser Leben zu Ende, wir verlieren das Bewusstsein und wachen nie wieder auf. Diese Vorstellung ist für viele Menschen nicht angenehm. Da erscheint die Idee, ewig auf einer anderen Ebene weiterzuleben, doch attraktiver. Wir erwarten die Rückkehr in das Paradies als Lohn für unser Bemühen und als Ausgleich für erlittene Schmerzen.

In seltenen wachen Momenten und in gelegentlichen Träumen erleben wir ein tiefes Glücksgefühl. So sollte es für immer sein, wenn wir heimgekehrt sind. Viele Menschen empfinden es so und die Religionen stellen es in Aussicht, also muss es wahr sein, denken wir.

Wozu dient das Jüngste Gericht?

Wir wollen, dass unser Leben gewürdigt wird und streben nach einem gerechten Urteil. Unsere guten Werke sollen anerkannt und unsere Feinde bestraft werden. In unserem Gewissen und in den Träumen erleben wir das moralische Gericht, selten lobend, meistens tadelnd. Wir haben zu vieles falsch gemacht und es drohen gnadenlose Strafen. Ein gerechtes Urteil wird auch uns hart treffen, befürchten wir.

Wofür wäre eine Wiedergeburt hilfreich?

Wir wissen um unsere Fehler und unser Versagen in diesem Leben. Die Chance auf das Paradies ist kleiner als die Aussicht auf das Höllenfeuer. Unsere Träume und Fantasien versorgen uns mit Erinnerungen aus früheren Leben. Wenn diese so real sind, wie sie sich anfühlen, dann haben wir schon einmal gelebt. Da es sehr vielen Menschen so geht, gibt es offenbar eine zweite Chance, hoffen wir.

Wie funktioniert die Seele?

Unser Gehirn hat verschiedene Areale. Sie steuern den Körper und das Bewusstsein, auch eine Funktion des Gehirns. Unser Ich wird mit Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen und Fantasien versorgt, damit wir die besten Entscheidungen treffen.

Die Verarbeitung von Informationen findet zunächst im Unbewussten statt. Eine innere oder äußere Situation wird mit Erfahrungen und aktuellen Bedürfnissen verglichen und bewertet.

Dabei werden auch Inhalte eines kollektiven Unbewussten genutzt, die offenbar allen Menschen zugänglich sind.

Abhängig von dem Ergebnis der Bewertungen wird das Bewusstsein eingeschaltet. Erst jetzt haben wir einen Gedanken oder ein Gefühl. Uns kommt etwas in den Sinn:

Oh, mir fällt gerade ein…

Ich denke, wir sollten es auf meine Weise machen.

Was gerade geschieht, finde ich nicht gut, was soll ich jetzt denn machen?

Ich habe keinen Bock auf Arbeit. Aber, ich muss.

Manipuliert das Unbewusste unser Ich?

Einerseits ja: Das Unbewusste vermittelt nur jene Gedanken und Ideen in einer Weise, die das Bewusstsein verstehen und verkraften kann.

Andererseits nein: In unserer Seele gibt es viele Kräfte, die gegensätzliche Ziele und Ansichten vom Leben haben. Sie brauchen unser Ich, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Will ich arbeiten oder eine Bank überfallen?

Will ich mit einem Mann oder mit einer Frau zusammenleben?

Will ich für meine Rechte kämpfen oder mich brav unterordnen?

Will ich meine Eltern ehren und mich weiter missbrauchen lassen oder will ich sie verlassen?

Will ich mich in fremde Menschen einfühlen oder will ich sie beurteilen und zerstören?

Unser Ich-Bewusstsein hat die Aufgabe, die Konflikte zwischen den streitenden Göttern zu erkennen, zu lösen und Entscheidungen vorzuschlagen.

Wer sagt mir, wie ich mich entscheiden soll?

Niemand.

Im besten Fall entscheiden wir uns für etwas, das uns Freude macht und mit unseren Wertvorstellungen übereinstimmt.

Aber, wir haben in unserer Kindheit gelernt, dass wir ordentlich und gehorsam das tun sollen, was man uns sagt.

Jetzt stehen wir zwischen den Stimmen der Erzieher und der emotionalen Götter. Fünfundzwanzig personifizierte Kräfte des Unbewussten, über die ich im Buch ‚TwentyFive‘ geschrieben habe, plus zehn oder mehr Abbildungen meiner Erzieher. Sie bilden keine Parteien, sondern wirken als verinnerlichte Instanzen. Jeder will etwas Bestimmtes von uns.

Fünfunddreißig Typen schreien in unser Bewusstsein hinein. Jetzt braucht es ein starkes Ich, das für Ruhe sorgt.

So, einer nach dem anderen. Lasst uns heute mal bei Oma Gerda anfangen. Was meinst Du, was sollte ich machen?

Wie wirken Verdrängungen?

Die durch Gott verbotenen und von uns verdrängten Götter repräsentieren die Triebkräfte unserer Seele. Wir mögen sie aus dem Bewusstsein ausschließen, aber, sie schlafen nicht.

Sie kämpfen weiter für ihre Rechte, für unsere Freiheit und für unsere Entwicklung zu selbstbestimmten Menschen. Wir spüren diese kraftvollen Instanzen unserer Seele und sperren sie in die Gedanken-Verliese unheiliger Gebote, damit wir sie nicht wahrnehmen müssen.

Die Selbstverleugnung macht uns krank vor Wut. Wir machen Fehler aus Angst, suchen Schuldige für unsere Versäumnisse, finden sie in fremden Menschen und greifen sie an.

Welchen Vorteil haben Schuldgefühle?

Diese scheinbar negativen Gefühle sind einfache Hinweise. Wenn wir nicht den Anspruch haben, vollkommene, fehlerlose Menschen zu sein, ist es einfach, diese selbstkritische Überprüfung unseres Verhaltens positiv zu nutzen.

Ich erlebe gelegentlich, nachdem ich etwas gesagt habe, mögliche negative Effekte, die ich vorher nicht bedacht haben. Bei aller Liebe, wir können nicht in andere Menschen hineinsehen und sind nicht in der Lage unabsichtliche Kränkungen zu vermeiden. Aber, wir können uns direkt ‚entschuldigen‘ und für die nächste ähnliche Situation ein anderes Verhalten wählen. Die Schuldgefühle fördern das Zusammenleben in der Gemeinschaft und das persönliche seelische Wachstum.

Kommen alle Menschen in den Himmel?

Wir können versuchen unsere Treibkräfte zu verdrängen und unsere Gefühle zu bekämpfen. Dann bleiben die Pforten zu dem Himmel, der in uns ist, geschlossen.

Sobald wir beginnen die innere Vielfalt, ihre Dynamik und manchmal auch Dramatik zu akzeptieren, können wir das Paradies jederzeit betreten. (Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Mt 7,7)