Erinnerungen

Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich in früheren Jahrhunderten gelebt habe und dort an Fragen gestoßen bin, die ich noch nicht beantworten konnte: dass ich wiedergeboren werden musste, weil ich die mir gestellte Aufgabe nicht erfüllt hatte. Wenn ich sterbe, werden – so stelle ich es mir vor – meine Taten nachfolgen. Ich werde das mitbringen, was ich getan habe. (Carl Gustav Jung)

Wenn mein Computer morgen das Zeitliche segnet, ist er tot. Da er schon einige Jahre alt ist, wird eine Wiederbelebung keinen Sinn ergeben.

Wahrscheinlich werde ich mir einen neuen kaufen, ihn an meine externe Festplatte anschließen und mit der Cloud verbinden, wo ich Informationen gespeichert habe, die auch für meine Kollegen hilfreich sind.

Der neue Computer wird sich daran erinnern, was ich heute schreibe. Er nutzt die Programme, die ich neu installiert habe und kann mir die E-Mails anzeigen, die ich vor mehreren Jahren schrieb oder erhalten habe.

Wenn er ein Bewusstsein hätte, würde er sein Geburtsdatum, die Initialisierung des Betriebssystems, mit den gespeicherten Daten, zum Beispiel dieses Textes vergleichen. Er wäre womöglich überrascht, dass er über Informationen und Programme verfügt, die aus einer Zeit stammen, als seine Bauteile noch nicht einmal hergestellt waren.

Vielleicht trifft er im Netzwerk auf einen anderen neuen Computer. Die beiden tauschen Informationen aus und erkennen sich. ‚Du warst im früheren Leben doch ein Laptop, oder?‘

‚Ja!‘

‚Ich kann mich sogar an deinen Namen erinnern. Du warst IP 192.168.2.102, nicht wahr?‘

Bei der Reinkarnation geht es nicht um die Rekonstruktion eines alten Körpers, der schon lange vermodert oder verbrannt ist, sondern um irgendwo gespeicherte Informationen, die wir Erinnerungen nennen.

Das Gehirn ist die Hardware unseres biologischen Computers. Die Software, also alle gespeicherten Erfahrungen, Wünsche, Hoffnungen und Ängste mit den dazu erlernten Verhaltensprogramme, nennen wir Seele.

Wir wissen bislang viel zu wenig darüber, wie und wo genau unsere Seele all die Erfahrungen speichert, die uns schließlich als Individuum ausmachen. Aber, wir wissen, wie es ist, wenn wir uns erinnern.

Uns kommt etwas ins Bewusstsein wie ein multimedialer Film, in dem wir eine wichtige Rolle spielen. Wir nehmen etwas mit allen Sinnen wahr. Wir erleben etwas, als geschähe es gerade jetzt mit allen Gefühlen.

Ich bin in einer alten Burg. Meine Tochter und mein Schüler sind an meiner Seite. Wir reden über diesen Rosenquarz, für den wir einen Tisch hergerichtet haben. Es ist kühl und wir haben Angst, weil in diesen Zeiten schlimme Dinge geschehen.

Mein Name ist Bruno. Sophie und Michele sind verliebt und glücklich, wissen aber, dass sie fliehen müssen. Es war zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts in der Zeit der Zerschlagung des Templerordens.

Michele ist in diesem Leben mein Sohn und Sophie meine Schwiegertochter. Wir drei können uns an die damaligen Zeiten erinnern. Die beiden noch besser als ich. Ihnen ist damals die Flucht nach England geglückt. Mein Leben endete wie das vieler Freunde auf einem Scheiterhaufen.

Es gibt viele Menschen, die solche Erinnerungen an Leben vor unserer Zeit haben. Häufig geschieht es, dass wir jemanden begegnen, den wir glauben, aus früheren Zeiten zu kennen. Und vielleicht ist es seltener, dass wir uns gemeinsam an Damals erinnern. Aber, mir ist es einige Male so geschehen.

Faszinierend ist, dass wir dabei so empfinden und kommunizieren, als wäre das heutige Ich absolut identisch mit dem damaligen Ich.

Es ist eine Eigenschaft der Seele, dem Bewusstsein Inhalte als assoziierte Wahrnehmung zu vermitteln. Wir erleben etwas, mit allen Sinnen und allen Gefühlen, als geschähe es genau jetzt. Es erscheint dem Bewusstsein so echt, dass es keinen Zweifel daran erlaubt, dass Ich es erlebe.

Auf einer unbewussten Ebene werden dafür verschiedene Inhalte mithilfe der Fantasie zu einem lebendigen Geschehen verknüpft. Wir nutzen diese Eigenschaft auch, wenn wir uns in andere Menschen einfühlen. Ich fühle, was dich bewegt, denn ich sehe die Welt mit deinen Augen.

Diese Wahrnehmungen helfen, uns in zukünftige Situationen hineinzuversetzen. Sie können etwas zu einem lebendigen Geschehen konstruieren, dass reine Fantasie ist. Für das Erlernen neuer Fähigkeiten und zur Beurteilung von Verhaltensalternativen nutzen wir diese Fähigkeit.

Das heißt aber auch, unsere assoziierten Erinnerungen sind aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht objektiv. Statt, ich habe damals gelebt, wäre richtig zu sagen, ich erinnere Szenen aus dieser Zeit.

Das alleine ist schon spannend genug, wenn mehrere Menschen sich an ähnliche Szenen erinnern. Offenbar gibt es eine seelische ‚Cloud‘, bei der wir uns gemeinsam bedienen – oder, die uns gezielt mit Erinnerungen versorgt.

Das Kollektive Unbewusste lässt sich auch so verstehen, als hätten wir gemeinsamen Zugriff auf Erfahrungen, Wissen und Verhaltensprogramme, die, um im technischen Bild zu bleiben, zentral gespeichert sind.

Dieser zentrale Speicher ist nicht als physikalische Einheit gemeint, sondern als virtuelle Organisation, wie wir es von der Cloud kennen, bei der die Informationen auf verschiedenen Rechnern verteilt sind. Ich stelle meine Erinnerungen offen zur Verfügung. Jeder der will, kann sich dort bedienen. Wenn das über die Zeit Tausende oder Millionen Menschen machen, steht ein riesiges und ständig wachsendes Volumen an Geschichten zur Verfügung.

Verschiedene Experimente und individuelle Erfahrungen zeigen, dass unsere Seelen jenseits der Sinneswahrnehmungen miteinander kommunizieren. Gedankenübertragungen sind bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Aber, das ist auch nicht zu erwarten.

Mein Unbewusstes vermittelt mir, meinem Bewusstsein, nur dann etwas, wenn außergewöhnliche Situationen eine genauere Wahrnehmung oder eine Entscheidung brauchen. Unter wissenschaftlich korrekten Laborbedingungen wird das nicht geschehen.

Informationen von Seele zu Seele geschehen zum Beispiel, wenn jemand in Not ist – oder wenn wir uns nach langer Zeit wiedererkennen.

Mir passiert es häufig, dass sich kleine Kinder nach mir umsehen und mir zulächeln oder winken oder rufen, die ich in diesem Leben definitiv noch nie gesehen habe.

Kennst Du den Mann? Fragt die Mutter.

Ja! Antwortet die Kleine im Sportwagen, in einem Ton, der keinen Zweifel zulässt.

Auch mit Erwachsenen habe ich diese Erfahrung gemacht, aber seltener. Manchmal, wenn wir uns näher kommen, teilen wir gemeinsame Erinnerungen an die Zeiten damals in Frankreich oder an die Geschehnisse um Jan Hus in Prag. Es scheint, als treffen sich alte Kampf- oder Leidensgenossen.

Jedenfalls, wenn dem so ist, wie wir es wahrnehmen, gibt es diesen gemeinsamen, virtuellen Informationsspeicher, mit dem das Selbst, unser individuelles Unbewusstes, kommuniziert. Wir sind sozusagen auf einer tiefen Ebene miteinander verbunden und Teil einer umfassenden Einheit.

Es gibt Hinweise dafür, dass die Kommunikation im Unbewussten mit Symbolen arbeitet, aus denen dann Szenen konstruiert werden:

Vor meinem geistigen Auge taucht ein Boot auf, Männer versuchen, es zum rettenden Hafen zu rudern, werden aber immer weiter aufs offene Meer hinausgetrieben.

Diese Szene ‚geschieht‘ zur gleichen Zeit im Unbewussten eines Freundes. Wir verstehen uns wortlos, weil wir ein ähnliches Bild wahrnehmen.

Erst dann, wenn ich darüber nachdenke oder mit anderen bewusst darüber rede, wird die Szene um Details ergänzt und in die verbale Sprache übersetzt, in der wir miteinander reden.

Auf der Symbolebene lassen sich sehr viele Informationen komprimiert auf einige wenige Elemente speichern: Angst, Küste, Boot, sich entfernen, Männer, Verzweiflung…

Bei diesen Erinnerungen gibt es keine Zeitangaben. Es scheint so zu sein, als würden wir alle Details und auch die zeitliche Einordnung beim Transfer zum Bewusstsein ergänzen, also hinzukonstruieren. Gefühle und Beziehungen sind die wichtigsten Zugriffsparameter bei den Erinnerungen.

Wir empfinden etwas, das vor fünfhundert Jahren geschah, genauso intensiv, als würde es jetzt passieren. Vielleicht ist es diese besondere emotionale Qualität der Erinnerungen, die uns sicher macht, dass es damals unser Leben gewesen ist.

In Hypnose oder, wenn es trainiert wurde, auch in einer tiefen Meditation können wir aus der Zeit herausbegeben. Schaue Dir Dein Leben aus einer höheren Perspektive an. Was war, was ist, was wird sein?

Es gibt Rückführungstechniken oder Reinkarnations-Therapien, die unsere Fähigkeit nutzen, uns die individuellen oder kollektiven Erinnerungen bewusst zu machen.

Das Unbewusste wird uns normalerweise im Alltag nicht mit alten Geschichten belasten. Es antwortet auf wichtige Fragen, wenn wir sie stellen, wenn unser Ich stark genug ist, um mit den Antworten gut umzugehen:

Zu welchen Menschen hatte ich in einem früheren Leben eine tiefe Beziehung?

Welche Aufgaben habe ich damals nicht erledigen können?

Weshalb habe ich mich für dieses Leben entschieden?

Was kann meinem Leben in den kommenden Jahren einen guten Sinn geben?

In meinen Meditationen nutze ich den symbolischen Brunnen in meinem Paradies, den manche vielleicht aus den Märchen kennen. Ich lasse mich fallen und genieße die Schwerelosigkeit.

Es gibt verschiedene Seitenarme, durch die ich hinausschweben kann, zur Ebene der Märchen oder zu den Seelen von Mitmenschen, zur Ebene der Zukunft oder zu den Fabelwesen, vielleicht zum archaischen Löwen, der mein goldenes Buch bewacht.

Manchmal lasse ich mich einfach treiben, um etwas Neues zu erfahren oder Bekanntes aus einer anderen Perspektive zu erleben.