Die Drohung

Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! (Matthäus, 25, 41)

Die Idee, dass es nach dem Leben ein Gerichtsverfahren geben wird, gibt es seit Tausenden Jahren. Es ist ein naheliegender Gedanke.

Zum einen bedeutet dieser Prozess nach unserem Tod, dass es ein Weiterleben gibt. Für die Ungläubigen ist es eine große Kränkung, am Ende des Lebens nichts davon zu haben, dass sie sich jahrelang abgemüht und wahrscheinlich auch gelitten haben. Wofür das alles?

Es ist sehr verlockend, sich auf bessere Zeiten und auf Wiedergutmachung vertrösten zu können. Menschen, die uns etwas angetan haben, werden bestraft. Wir, die wir alles ertragen haben, bekommen eine Entschädigung. Das ist die göttliche Gerechtigkeit, auf die wir hoffen dürfen.

Dabei schleicht sich der Gedanke ein, dass wir nicht nur passiv etwas erlitten haben. Wir waren aktiv, haben für uns gesorgt und sicher auch anderen Menschen geschadet. Dieses Wissen oder zumindest die Ahnung von den eigenen Unzulänglichkeiten macht uns unsicher. Himmel oder Hölle, wie wird am Ende das Urteil lauten?

Zum anderen kann die brutale Strafandrohung schon für kleine Delikte dafür sorgen, dass die Menschen sich den Gesetzen unterordnen, die von den Machthabern verfügt wurden. Besser ist es, jetzt klein beizugeben, als auf Ewigkeit höllische Schmerzen ertragen zu müssen.

Auf welche Weise diese Idee missbraucht wurde und immer noch als Druckmittel funktioniert, ist bekannt. Was den Ungehorsamen droht, haben die Mächtigen noch vor ein paar Hundert Jahren durch das Verbrennen von Frauen und Männern auf den Marktplätzen demonstriert. Heute macht man es etwas subtiler.

Bei Matthäus gelten die Menschen als verflucht, die sich nicht hinreichend um ihre Mitmenschen gekümmert haben. Also, aus heutiger Sicht schicken wir knapp hundert Prozent aller Menschen ins ewige Feuer. Das wird ein Gedränge geben. Und nur die wenigen Altruisten werden durchgewunken. Aber, deren latente egoistische Motive hat schon Kant beschrieben.

Falls es einen liebenden Gott gibt, wird er verstehen, weshalb sich die von ihm geschaffenen Wesen so verhalten, wie sie es tun. Jeder Psychoanalytiker könnte es ihm erklären, weshalb oder wozu sich Menschen gut oder böse verhalten und im normalen Leben keine Chance haben, sich neu zu programmieren.

Je negativer ein Verhalten ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine tiefe Angst die Ursache der Ursachen dafür ist. Weder Liebe noch Angst lassen sich bewusst ein- oder ausschalten. Sie werden von etwas ausgelöst, das wir nicht in unserer Hand haben. Zur Abwehr unerträglicher Angst gibt es eine ganze Reihe von Verhaltensweisen. Die meisten davon führen direkt in das Fegefeuer.

Fürchtet euch nicht – funktioniert leider nicht.

Die nach den religiösen Regeln zu Verurteilenden brauchen kein ewiges Feuer, sondern Begleitung, Verständnis, Trost und Zuwendung durch einen liebevollen Menschen, der sich in ihre Angst- und Leidensgeschichte einfühlen kann und dabei hilft, die häufig seit früher Kindheit aktiven Ursache-Wirkungs-Verkettungen abzuarbeiten.

Die Wahrheit wird euch frei machen, sagte Jesus, steht geschrieben.

Die Autoren des Neuen Testaments hätten hinzufügen müssen, dass diese Befreiung aus den Angst-Verhaltens-Verkettungen ein langer, schmerzhafter Prozess ist, der die Begleitung durch einen liebenden, wissenden Menschen oder einen professionellen Therapeuten braucht.

Das Jüngste Gericht, das uns angedroht wird, ist dagegen einfach dumm. Wir haben bei Matthäus auf der rechten Seite die Guten und zur Linken die zum ewigen Leid Verdammten. Das von diesem Apostel beschriebene System ähnelt den Funktionen der rechten und linken Gehirnhälfte.

Sie lassen sich grob in Emotionalität oder Empathie (rechts) sowie in Rationalität oder Erkenntnis (links) gliedern. Also, wenn rechts die guten sind, kommen die empathischen Menschen ins ewige Paradies. So ungefähr, aber etwas lebendiger, also empathischer hat es der Apostel ausgedrückt.

Alle Menschen, die eher rational unterwegs sind, können nach ihrem Tode gleich zur Hölle durchmarschieren.

Mag Gott keine Menschen, die nach Erkenntnis streben? Man schreibt, er wäre damals wahnsinnig vor Wut gewesen, als Adam und Eva diese verlockende Frucht zu sich genommen haben, und er habe die beiden aus dem Paradies heraus und in ein qualvolles Leben hineingeworfen. Außerdem erhielten alle Nachkommen der Beiden die gleiche Strafe. Wahnsinnige Sippenhaft oder vorausschauender Sadismus?

Oder waren es Kirchenfürsten, die mit diesen Texten ihre Macht sichern wollten?

Für unseren Verstand (linke Seite) können wir es kurzfassen: Das Jüngste Gericht ist die brutalste und gefährlichste Waffe der Mächtigen. Es ist an der Zeit, sie zu entmachten. Dafür brauchen wir Geschichten zum Mit- und Nacherleben.