Stufe 4 - Fix und fertig
Die vierte Bewusstseinsstufe überrascht mit Erkenntnissen auf der Ebene des Mentalen.
Ungeahnte, geistige Fähigkeiten drängen sich dem Bewusstsein auf.
Das Brummen des Brotbackautomaten erfüllt den gesamten Raum. Bis in den entlegensten Winkel der Küche dringen die intensiven Schwingungen. Der Dacapo vermeint die Töne nicht nur hören, sondern ihre Ausbreitung auch sehen zu können. Vor seinen Augen wabert ein blasser, blauer Dunst, gleich einem schwachen Rauch, in tanzenden Wellen durch die Luft. Eventuell ist es eine visuelle Täuschung, vielleicht auch eine Gabe. Dem Dacapo ist das in seiner gegenwärtigen Verfassung vollkommen gleich. Er fühlt sich ungewöhnlich leicht und ist fest davon überzeugt, sich nach wenigen Minuten zu erheben und mitten im Raum schweben zu können. Fasziniert und ohne zu blinzeln, starrt er mit weit geöffneten Augen auf den Automaten, in dem sich etwas zu bewegen scheint. Das Gerät lebt! Ist es eventuell intelligentes Leben, das sich dort regt? Natürlich, das muss es sein - mit einem Anschluss an das elektrische Netz kann es sich gar nicht anders verhalten. Erst vor zwei Tagen hat er über die neuerlichen Erfolge mit 'Künstlicher Intelligenz' gelesen. Dieses Zeugs ist immer über Kabel oder Funk an irgendein Netzwerk angeschlossen. Schon menschliche Intelligenz erscheint ihm unheimlich. Je mehr Individuen selbstständig denken, umso weniger ordnen sie sich unter. Am Ende gehorchen sie nicht mehr bedingungslos der Staatsmacht und deren Vertretern, wie ihm. Als einer unter den gewaltigsten davon empfindet er das Hinterfragen von Anordnungen als eine Fehlentwicklung im evolutionären Prozess der Menschheit. Wie ordentlich und geregelt würde es auf der Welt zugehen, wenn sich jeder an die Anweisungen und Regeln der Administration halten würde! Zu seiner allgemeinen Verärgerung sehen das viele Mitmenschen anders. Häufig stellen sie Anordnungen infrage. Am ärgerlichsten ist jedoch, dass auch er nicht frei davon ist und so manches Mal selbst zu diesem Fehlverhalten neigt. Besonders übel war vor drei Jahren der absurde Befehl der Obrigkeit seiner geheimen Behörde, laut dem er wegen dauerhaft renitentem Verhalten ein gesamtes Dorf verhaften sollte. Sein Gewissen hatte sich lange dagegen gesträubt und am Ende die Ausführung der Anweisung verweigert. Auf der einen Seite war das verwirrend für ihn gewesen, auf der anderen Seite hat ihn das Verhalten seiner Vorgesetzten nachhaltig verunsichert. So richtig dubios und unverständlich wurde es jedoch erst im Anschluss an seine Befehlsverweigerung. Niemand interessierte sich dafür, selbst der damalige Befehlsgeber verhält sich bis heute so, als ob es die Anweisung und das nachfolgende Geschehen nie gegeben hätte. Das brachte ihn schnell zu der Erkenntnis:
Intelligenz ist Murks,
sie stört die Macht.
So findet er es beruhigend vernünftig, dass 'Künstliche Intelligenz' immer mit einer Verkabelung verbunden ist. Im Notfall kann man dort 'den Stecker ziehen'. Der brummende Automat ist ebenfalls verkabelt und er, der mächtige, beinahe schwebende Dacapo, wird mit ihm in Kontakt treten! Er ist der Herr über das Kabel. Falls sich die Maschine seinen Anweisungen widersetzt und die Ausführung der Befehle der Staatsgewalt verweigert, kappt er die Verbindung zum versorgenden Netz. Miezi sitzt ihm gegenüber auf dem Tisch und starrt das brummende Gerät ebenfalls an, das zwischen ihnen steht. Beide sind sie auf die gleiche Art fasziniert und mental auf das Ding in der Mitte des Tisches fixiert. Der gesamte Alkohol aus dem Teig ist inzwischen verdunstet. Die Hitze des Backraumes treibt ihn aus dem Automaten heraus.
So wie sich das Brummen im Raum verteilt und in jeden Winkel dringt, ist auch der leicht flüchtige Stoff überall in der Luft. Auf dessen unsichtbaren Wolken schweben die beiden Anwesenden virtuell um den Tisch. Trotz aller abgehobenen Leichtigkeit kommen dem Dacapo langsam Zweifel. Ist das Verhalten des Brotbackautomaten nun gut oder schlecht? War die Entscheidung für das Gerät und gegen ein Brot richtig? Er findet, dass seine Kreation gut riecht - nur nicht nach Brot. Wird das Ergebnis ihn sättigen? Falls er es wahrhaftig zum Leben erweckte, muss er das Gebäck vor dem Verzehr töten? ... ein intelligentes Etwas töten? Das wird er nicht können. Sein Gewissen regt sich wieder. Nun gut, dann schüchtert er das Brot mit seiner gewaltigen Dienstwaffe ein und verhaftet es. Dem Anblick des zehnzöllligen, brüllenden Wüstenadlers hat bisher noch niemand widerstanden. Auch ein denkendes Brot würde klein beigeben. Wie geht es nun weiter? Das Brummen des Automaten ist mit einem Mal nicht mehr einschläfernd. Er fühlt sich erregt, getrieben. Er muss etwas unternehmen, handeln, endlich aktiv werden - dieses passive Warten ist unerträglich. Warum hat er eigentlich dieses Gerät gekauft? Hätte er sich für ein Brot entschieden, wäre sein Hunger längst besänftigt und die vielen Fragen würden nicht brennend durch sein Hirn schießen. Ist er im Supermarkt den Verlockungen der Werbung und des Gruppenzwanges unterlegen? Oh wie peinlich ist das! Seine Kollegen dürfen das nie erfahren.
Er, der mächtige Dacapo, der gewaltige Superheld des Bundeskriminalamtes, das letzte Bollwerk gegen den gesellschaftlichen Verfall, hat sich durch Werbung manipulieren lassen. Die Zwänge des Handelns seiner Mitmenschen haben ihn überwältigt, wo er es doch sonst ist, der jeden Verbrecher in die Enge treibt. Den Schurken zwingt er seinen Willen auf und bringt sie zur Aufgabe ihres Tuns. Heute hat ihn der Gruppenzwang überwältigt. Das ist der tiefste Abgrund, in den ein Superheld gelangen kann. Dazu kommt, dass sich hier gerade irgendeine Katastrophe anbahnt. Der Dacapo spürt, wie sich eine mächtige Spannung um ihn herum aufbaut. Kräftige, negative Schwingungen mischen sich in das raumfüllende Brummen. Er spürt den mentalen Absturz aus seiner gedanklichen Schwebeposition physisch. Hart schlägt er auf dem Boden der Realität auf. Aus seiner langjährigen Erfahrung mit dem Chaos weiß er, dass dessen Ausbruch kurz bevorsteht.